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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
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verhärmte Etwas überhaupt aufgefallen, wenn Sie bei Frau von
Wonnegut Tee geschlürft haben? Oder hatten Sie nur Augen für die reiche Alte
und ihren Opernfimmel? Das würde zu Ihnen passen, dass Sie nicht einmal merken,
wie Frau Stein schikaniert wird. Tragen Sie auf, tragen Sie ab, machen Sie
dies, lassen Sie jenes, aber dalli – wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie das den
ganzen Tag hören müssten? Von der eigenen Schwägerin! Was meinen Sie, was sich
da anstaut?«
    »Deshalb bringt man doch keinen Menschen um«, wehrte sich
Nagel.
    »Weswegen sonst? Erklären Sie es mir.«
    Er biss die Zähne zusammen und schwieg.
    »Hast du Beweise?«, wollte Covet wissen.
    »Beweise?«, erwiderte ich, als handle es sich um etwas
Unappetitliches. »Dafür ist die Polizei zuständig. Ich sehe mich in diesem Fall
eher als Entwickler von Ideen, von Theorien. Die Realität soll sich gefälligst
anstrengen, dass sie dem entspricht.«
    »Wir vertun doch nur unsere Zeit«, sagte Nagel, ohne mich
anzusehen.
    »Überhaupt nicht. Ihr Problem ist, dass Sie sich nicht in
andere hineinversetzen können. Da bekommt diese Frau Stein eine Schwägerin vor
die Nase gesetzt, die ihr alles voraushat, Geld, Bildung, gesellschaftliche
Anerkennung, und am Ende muss sie sich noch dafür bedanken, dass sie in deren
Haushalt die Wäsche waschen darf. Na gut, denkt sie, irgendwann werde ich dafür
belohnt, irgendwann kommt meine Zeit, dann lege ich die Beine hoch und weiß,
wofür ich gebuckelt habe. Und was geschieht? Frau von Wonnegut kürt einen
dubiosen Fettsack zu ihrem neuen Liebling, Erwähnung im Testament inklusive.
Für Frau Stein bricht eine Welt zusammen. Da haben wir das Motiv, Barth-Hufelang
zu beseitigen. Frau Stein weiß, wo er wohnt, dass er alleine wohnt. Wenn sie
kurz nach dem Mord an Annette Nierzwa zuschlägt, wird alle Welt denken, es sei
derselbe Mörder gewesen. Prost.«
    »Schöne Geschichte«, brummte Marc. »Ohne Beweise aber nichts
wert.«
    Nagel schwieg. Er nippte an seinem Rotwein und sah in die
Dunkelheit hinaus. Erste Fältchen hatten sich in den Augenwinkeln
festgeklammert, um seine Lippen spielte ein bitteres Lächeln. Von der Presse
war seine Entlassung aus der Haft geradezu mit Bedauern registriert worden: › Der
Richter sah sich gezwungen … bis zur Beschaffung weiterer Indizien … ‹Sie
würde ihm Abbitte leisten müssen.
    »Überleg mal«, fuhr Marc fort. »Das hieße ja, wir hätten zwei
Mörderinnen aus dem gleichen Haus. Das glaubst du doch selbst nicht.«
    »Tut er auch nicht«, sagte Nagel, immer noch aus dem Fenster
starrend. »Es sind nur Gedankenspiele. Gleich wird er einen dritten Mörder aus
dem Sack zaubern.«
    »Noch einen?«
    »Und der hat es in sich«, nickte ich. »Wobei man hier nicht
unbedingt von einem Einzeltäter sprechen sollte. Sondern von einer Handvoll
Täter.«
    »Klar, warum nicht«, murmelte Nagel.
    »Auch hier habe ich keine Beweise. Aber eine Art Geständnis.
Hört euch das einmal an.« Ich zog den Zettel aus der Tasche, den ich gestern im
Karlstorbahnhof mitgenommen hatte. Auf seiner Rückseite war das Manifest der aktion
aesthetik abgedruckt. » die kunst ist ein raum ohne volk «, zitierte
ich. » territorien der aesthetik müssen zurückerobert werden. nieder mit dem
schlechten geschmack mediokrer bürgerlichkeit. schluss mit dem moralterror der
linksliberalen masse. wir stehen für die neue elite deutschlands … Den Rest
überspringe ich, und dann: die gesetze der aesthetik überschreiben die der
ethik. kunst kommt vor moral. äuszerlichkeit vor innerlichkeit . Na, was
meint ihr?«
    »Was ist denn das für ein Blödsinn?«, schnaubte Nagel.
    »Klingt nach ›Heidelberger
Schule‹«, meinte Covet.
    »Wonach bitte?«
    »Eine Künstlergruppe, die sich aktion aesthetik nennt
und mit ihren Auftritten provozieren will. Irgendeiner hat sie mal
›Heidelberger Schule‹ getauft, aus Witz natürlich, die Jungs sind keine 30.
Aber diesen Titel tragen sie jetzt voll Stolz.«
    » so es die kunst verlangt, hat blut zu flieszen «,
nickte ich. » elite muss wieder sexy sein .« Wenn man sich daran gewöhnt hatte,
gingen einem die Sätze ganz leicht über die Lippen.
    »Na und?«, sagte Nagel.
    »Erklär du ihm, was die Jungs wollen«, bat ich Covet. »Du
hast schließlich ihr Veranstaltungsplakat in deinem Flur hängen.«
    »Hab ich das? Kann sein. Ihr braucht dieses Geschwätz nicht
ernst zu nehmen. Die suchen Aufmerksamkeit um jeden
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