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Schluesselmomente - Erfahrungen eines engagierten Lebens

Schluesselmomente - Erfahrungen eines engagierten Lebens

Titel: Schluesselmomente - Erfahrungen eines engagierten Lebens
Autoren: Liz Mohn
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und Optimismus ich bis heute nicht hoch genug einschätzen kann.
    Mein Vater kämpfte mit schweren gesundheitlichen Problemen. Seine Invalidität bewahrte ihn vor dem Kriegsdienst, doch für einen Mann seiner Generation bedeutete das eine Schmach. Er hat darunter gelitten. Als zweitjüngstes von fünf Kindern erlebte ich, wie meine Mutter uns in den schweren Kriegszeiten weitgehend allein großziehen und versorgen musste. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als eigenständige Entscheidungen zu treffen und für ihre Familie die Verantwortung zu übernehmen. Während sie für uns kochte, nähte und wusch, sang sie oft vor sich hin – durch sie lernte ich unzählige Lieder kennen.
    Obwohl wir selbst jeden Pfennig umdrehen mussten, blieben die Güte und Großzügigkeit meiner Mutter anderen Hilfsbedürftigen gegenüber davon unberührt. Ohne einen Teller Suppe, ohne ein Stück Brot wurde keiner fortgeschickt.
In den dunkelsten Jahren hat sie viel Kraft aus ihrem katholischen Glauben geschöpft. Auch wir Kinder mussten jeden Morgen um sieben Uhr vor der Schule zur Andacht gehen, das gemeinsame Tischgebet war selbstverständlich.
    Meine Mutter klagte nicht. Sie nahm ihr Leben so, wie es war, und hat oft genug mit ihrer tiefen Lebensbejahung das Unmögliche für uns Kinder möglich gemacht. Wie sehr mich ihre starke Persönlichkeit, ihr geselliges und fröhliches Wesen geprägt haben, ist mir erst Jahrzehnte später bewusst geworden. Damals war sie mein ganzes Glück, ich hing an ihr und mochte mich gar nicht von ihr trennen! Dem Kindergarten widersetzte ich mich mit ganzer Kraft, doch dem Tag der Einschulung konnte ich nicht entgehen. Ich hatte große Angst! Doch der Schritt in die Schulgemeinschaft weckte auch meine Neugierde, und bald hatte ich mich an den Unterricht gewöhnt.
    Wenn ich mich geliebt und geborgen fühlte, wuchsen mir mitunter ungeahnte Kräfte zu. Ich vergaß meine Ängste und probierte einfach aus, was mir in den Sinn kam. So spazierte ich manchmal mutterseelenallein durch die Wiesen am Ufer der Ems. Ich hatte einfach beschlossen, den Vögeln zu lauschen. Entsetzte Nachbarn hatten meiner Mutter berichtet, dass ich seit meinem vierten Lebensjahr versuchte, wieder und wieder in den Fluss zu springen, um mich an den Weiden entlang an das gegenüberliegende Ufer zu hangeln. Ich wollte um jeden Preis schwimmen lernen, und das gelang mir auch. Das Wasser ist seitdem mein Element, und ich bin bis heute eine begeisterte Schwimmerin geblieben. So klein, wie ich war, hatte ich damit die Kraft meines Willens entdeckt. Meine Mutter erkannte ihr ängstliches kleines Mädchen nicht wieder und begann zu ahnen,
dass ihr mit mir noch manche Überraschung bevorstehen würde.
    In Schule und Sportunterricht nutzte ich immer wieder die Gelegenheit, mein neu gewonnenes Selbstvertrauen zu erproben. »Probier’s mal. Du schaffst es!« Dieser Satz eines Lehrers, der mich als Einzige aus der Klasse zum Sprung vom Fünfmeterbrett ermutigen konnte, wurde für mich zu einem inneren Motto. »Du schaffst das«, sagte ich mir, auch wenn mir dabei die Knie zitterten und das Herz bis zum Hals schlug.
    Schritt für Schritt wurde ich mutiger, meine Abenteuerlust wuchs. Und es dauerte nicht lange, bis meine Mutter kaum mehr wusste, wie sie mich bändigen konnte. Bereits mit sechs Jahren meldete sie mich bei den Pfadfindern an. Ich wurde »Wichtel« und blieb dieser Gemeinschaft viele Jahre lang treu. Die gemeinsamen Unternehmungen in der freien Natur, die Fahrten zu den Jugendherbergen, das gemeinsame Singen und Wandern, all das waren herrliche Erfahrungen für mich. Hier lernte ich auch erstmals, Verantwortung für eine Gruppe zu übernehmen und eigene Wünsche im Dienst der Gemeinschaft zurückzustellen. Diese frühen Erfahrungen haben mich geprägt und geöffnet für die besonderen Chancen, die aus einer sozial verantwortlich geführten Gemeinschaft erwachsen können.
    Mit den Jahren wurde ich eine richtige Leseratte. Ich liebte alle klassischen Jugendbücher, die ich ausleihen konnte, vor allem von Abenteuergeschichten bekam ich nie genug. In Deutsch und Geschichte war ich gut, Mathematik mochte ich nicht besonders. Obwohl ich gut zurechtkam, musste ich mir mit vierzehn Jahren eingestehen, dass es für mich keine Hoffnung geben würde, je eine weiterführende Schule besuchen zu
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