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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Autoren: Rudyard Kipling
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um sich und fand Seife und Wichse sozusagen recht gut. Er aß davon und kam nicht gerade als Primus aus Sandhurst zurück. Es gab im Zwischenakte eine Szene mit den Seinigen, die viel von ihm erwartet hatten. Dann folgte ein Jahr »vom Gift des Lebens unberührt« in einem Regiment dritten Ranges, wo die jüngeren Offiziere Kinder waren und die älteren alte Weiber. Schließlich kam er nach Indien, wo er, abgeschnitten vom Beistand seiner Eltern, in schlimmen Zeiten nur auf sich selbst angewiesen war.
    Nun ist Indien das Land vor allen Ländern, wo man nichts zu ernst nehmen darf – die Mittagsglut natürlich ausgenommen. Zuviel: Arbeit und allzuviel Energie bringen dort einen Menschen gerade so sicher um, wie zuviel Laster und Alkohol. Liebeleien haben nichts auf sich, weil ja jeder bald versetzt wird; weil entweder er oder sie die Garnison verläßt, um nicht wieder zurückzukehren. Tüchtige Arbeit hat nichts auf sich, weil jeder nach seinen schlechtesten Leistungen beurteilt wird, und weil sein Bestes gewöhnlich doch nur anderen zugute kömmt Untüchtige Arbeit hat nichts auf sich, weil andere nicht tüchtiger sind, und weil die Unfähigkeit sich in Indien länger hält als sonstwo. Vergnügungen haben nichts auf sich, weil man sie, kaum genossen, auch schon wiederholen muß, und weil die meisten Vergnügungen nur darin bestehen, sich anderer Leute Geld zu gewinnen. Auch Krankheit hat nichts auf sich, weil sie alltäglich ist, und weil ein anderer des Töten Amt und Würdeneinnimmt schon in den acht Stunden zwischen Tod und Begräbnis. Gar nichts hat etwas auf sich, nur Heimatsurlaub und Zuschüsse, und auch das nur der Seltenheit wegen. Es ist ein schwerfälliges, ein »kutcha« (rohes) Land, wo alle mit unvollkommenen Mitteln arbeiten, wo man am klügsten niemand und nichts ernst nimmt, und aus dem man am besten möglichst bald in eine Gegend flüchtet, wo Vergnügen wirklich Vergnügen ist, und wo es sich noch lohnt, einen guten Ruf zu haben.
    Der junge Mensch nun – die Geschichte ist eigentlich so alt wie das Land – kam und nahm alles ernst. Er war hübsch und wurde verhätschelt. Und auch das Verhätscheln nahm er ernst. Frauen rieben ihn auf, die nicht wert waren, daß man ein Pony sattelte, um zu ihnen zu reiten. Sein neues, freies Leben in Indien gefiel ihm sehr. Und es erscheint unter dem Gesichtswinkel eines Leutnants – zuerst wirklich reizvoll: nichts als Ponys, Spielpartner, Tanzereien usw. Er kostete davon wie ein junger Hund von der Seife. Nur kam er leider erst zum Kosten, als seine Zähne schon männlich scharf waren. Er fühlte sich nicht sicher – ganz wie der junge Hund – und begriff nicht, warum man ihn nicht mit derselben Rücksicht behandelte wie im Hause seines Vaters. Das kränkte ihn.
    Er entzweite sich mit anderen jungen Leuten, und da er äußerst empfindlich war, vergaß er es nicht und regte sich darüber auf. Er fand Gefallen am Whist, an Gymkhanas und ähnlichen Dingen, mit denen man sich nach dem Dienst zerstreut. Aber er nahm auch die ernst, genau so ernst, wie er einen »Kater« nahm. Und weil er ein Neuling war, verlor er beim Spielen sein Geld.
    Und auch seine Verluste nahm er ernst. Er verwandte ebensoviel Energie und Interesse auf ein billiges Rennen von Ekkapony-Erstlingen mit Stutzmähnen wie auf ein Derby.Daran war einesteils seine Unerfahrenheit schuld – wie bei einem jungen Hund, der ärgerlich den Zipfel des Kaminteppichs anbellt; zum andern Teil kam es von dem Schwindel her, der ihn ergriff, als er aus seiner Ruhe in den unruhigen Glanz eines bewegteren Lebens hineintaumelte. Niemand warnte ihn vor Seife und Stiefelwichse, denn ein Durchschnittsmensch hält es für selbstverständlich, daß ein anderer Durchschnittsmensch sich davor in acht nimmt. Es war herzzerreißend mit anzusehen, wie der Junge sich die Stirn einrannte. Es war nicht viel anders, als wenn ein zu hart gerittenes Füllen, das dem Stallknecht durchgeht, in die Knie bricht und sich zerschlägt.
    Die Zügellosigkeit bei Vergnügungen, die kein Ausbrechen lohnen, geschweige denn ein wildes Toben, dauerte sechs Monate: die ganze kühle Jahreszeit hindurch. Wir glaubten, daß die Hitze und die Erkenntnis, Geld und Gesundheit eingebüßt und seine Pferde lahm geritten zu haben, den ›Jungen‹ zur Vernunft und zum Stehen bringen würden. In neunundneunzig Fällen von hundert wäre das auch sicherlich geschehen. Man kann diesen Vorgang in jeder indischen Garnison gesetzmäßig verfolgen. Aber
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