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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift
Autoren: Val McDermid
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möglich war.
    Sie stieß die Tür zu Zimmer dreihundertsechzehn auf und betrat das Land der Toten und Geschädigten. So früh am Montagmorgen waren die Lebenden dünn gesät. Detective Constable Stacey Chen, die IT-Alleskönnerin des Teams, sah kaum von ihren zwei Bildschirmen auf ihrem Schreibtisch auf und brummte etwas, das Carol als Morgengruß interpretierte. »Morgen, Stacey«, erwiderte Carol. Als sie durch das Büro ging, trat Detective Sergeant Chris Devine hinter einer der langen weißen Tafeln hervor, die wie Planwagen um ihre Tische herumstanden, um Deckung vor dem Feind zu bieten. Verblüfft blieb Carol stehen. Chris hielt beschwichtigend die Hand hoch.
    »’tschuldigung, Chefin, wollte Sie nicht erschrecken.«
    »Nicht weiter schlimm.« Carol seufzte leise auf. »Wir sollten wirklich diese durchsichtigen Tafeln kriegen.«
    »Was? Solche wie im Fernsehen?« Chris schnaubte leicht. »Darin seh ich keinen Sinn. Ich finde immer, dass man das Geschriebene darauf sauschlecht lesen kann. Alles im Hintergrund stört.« Sie ging neben Carol auf den Glaskubus zu, der ihr als Büro diente. »Was gibt’s Neues von Tony? Wie geht’s ihm?«
    Das war ja eine merkwürdige Ausdrucksweise, dachte Carol. Sie zuckte leicht mit den Schultern und sagte: »Soweit ich weiß, geht’s ihm gut.« Ihr Tonfall zeigte an, dass sie das Thema nicht weiter verfolgen wollte.
    Chris drehte sich schnell um, stand nun Carol gegenüber und prüfte den Gesichtsausdruck ihrer Chefin. »Oh mein Gott, Sie wissen es noch gar nicht, oder?«
    »Was weiß ich nicht?« Carol spürte, wie ihr Magen sich panisch zusammenzog.
    Chris legte Carol eine Hand auf den Arm, deutete mit einer Kopfbewegung auf ihr Büro und sagte: »Ich glaube, wir sollten uns setzen.«
    »Mein Gott«, entfuhr es Carol, und sie ließ sich hineinführen. Während Chris die Tür schloss, trat sie auf ihren Stuhl zu. »Ich war doch nur in den Yorkshire Dales, nicht am Nordpol. Was war denn hier los? Was ist mit Tony passiert?«
    Chris ging auf ihre erschrockene Frage ein. »Er ist angegriffen worden. Von einem der Insassen in Bradfield Moor.«
    Carol hob die Hände vors Gesicht und formte ihren Mund zu einem O. Sie atmete tief ein. »Was ist passiert?«, fragte sie mit erhobener Stimme, fast schreiend.
    Chris fuhr sich durch ihr kurzes, graugesprenkeltes Haar. »Man kann es nicht schonender sagen, Chefin. Er kam einem Verrückten mit einer Feuerwehraxt in die Quere.«
    Chris’ Stimme klang, als käme sie von weit her. Zwar hatte sich Carol an den Anblick von Szenen gewöhnt, die bei den meisten Menschen Heulen und Zähneklappern auslösen würden. Aber wenn es um Tony Hill ging, nützte ihr diese Erfahrung nichts, er war ihr wunder Punkt. Sie mochte dies zwar abstreiten, aber in Augenblicken wie diesen war alles anders. »Was …?« Ihre Stimme versagte. Sie räusperte sich. »Wie schlimm ist es?«
    »Nach dem, was ich gehört habe, ist sein Bein ziemlich lädiert. Er hat eins aufs Knie bekommen. Hat ’ne Menge Blut verloren. Es hat eine Weile gedauert, bis die Sanitäter an ihn rankamen, weil der Irre mit der Axt noch unterwegs war«, berichtete Chris.
    So schlimm dies auch sein mochte, war es doch weniger schrecklich als das, was ihre Phantasie in Sekundenschnelle bereits heraufbeschworen hatte. Blutverlust und ein zerschmettertes Knie, das ließ sich bewältigen. Eigentlich nicht so schlimm, wenn man es im größeren Zusammenhang betrachtete. »Herrgott«, sagte Carol erleichtert aufatmend. »Was ist denn passiert?«
    »Ich habe gehört, dass einer der Insassen einen Helfer überwältigt hat, er nahm ihm den Schlüssel ab und ist auf seinem Kopf herumgetrampelt, dann ist er ins Hauptgebäude des Krankenhauses eingedrungen, wo er eine Scheibe einschlug und sich die Axt griff.«
    Carol schüttelte den Kopf. »Sie haben dort Feuerwehräxte in Bradfield Moor? In einem speziell gesicherten Krankenhaus für psychiatrische Fälle?«
    »Anscheinend genau deshalb. Weil es sicher ist. Viele verschlossene Türen und Sicherheitsglas mit Drahtverstärkung. Die Vorschriften besagen, dass man im Fall eines Brandes oder eines Versagens der elektronischen Schließanlage in der Lage sein muss, die Patienten herauszuholen.« Chris schüttelte den Kopf. »Blödsinn, wenn Sie mich fragen.« Bei Carols mahnendem Gesichtsausdruck breitete sie resigniert die Hände aus. »Ja, na ja. Besser, so ein paar verrückte Mistkerle verbrennen als so ’n Desaster. Ein Helfer tot, ein weiterer auf der
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