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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift
Autoren: Val McDermid
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Geschwindigkeit durchziehen. Jerzy wusste das, Allen aber Gott sei Dank nicht. Er schlug auf das Lesegerät ein und versuchte es noch einmal. Schwankend versuchte Jerzy, so leise wie möglich an den Alarmknopf heranzukommen.
    Aber er war nicht leise genug. Irgendetwas machte Allen aufmerksam, und er fuhr herum. »Bring sie zu Ihm«, brüllte er und rannte los. Sein Gewicht allein genügte, um Jerzys geschwächten Körper wieder auf den Boden zu werfen. Jerzy bedeckte den Kopf mit den Armen, aber das half nichts. Das Letzte, was er spürte, war ein furchtbarer Druck hinter den Augen, als Allen ihm mit voller Wucht auf den Kopf trat.

    Als Tony die Tür öffnete, brandete ihm das Getöse in voller Lautstärke entgegen. Rufe, Flüche und Schreie drangen durchs Treppenhaus herauf. Das Erschreckendste daran war, dass niemand den Notalarm ausgelöst hatte. Das hieß, etwas war so plötzlich und auf so brutale Weise passiert, dass niemand die Chance gehabt hatte, die Vorschriften zu befolgen, die ihnen vermutlich vom ersten Tag ihrer Ausbildung an eingetrichtert worden waren. Das Pflegepersonal musste vollauf damit beschäftigt sein, das, was da geschah, irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Tony lief eilig den Flur entlang auf die Treppe zu und drückte im Vorbeigehen den Alarmknopf. Eine laute Sirene heulte sofort los. Mein Gott, wenn man sowieso schon verrückt war, wie musste sich das auf einen auswirken? Er erreichte die Treppe, verlangsamte aber sein Tempo, damit er einen Blick ins Treppenhaus werfen konnte, ob dort unten etwas zu sehen war.
    Die Antwort war einfach: nichts. Die lauten Stimmen schienen von rechts aus dem Flur zu kommen, wurden aber durch Akustik und Entfernung verzerrt. Plötzlich das helle Klirren und Scheppern von splitterndem Glas. Dann eine schockierende, kurze Stille.
    »Oh, verflucht«, sagte jemand offenbar angewidert. Dann ging das Rufen weiter, die Panik war unverkennbar. Ein Schrei, dann das Geräusch eines Handgemenges. Ohne nachzudenken, begann Tony, die Treppe hinunterzulaufen, um zu sehen, was sich da tat.
    Nach der letzten Treppenbiegung stürzten ihm aus dem Flur, aus dem die Geräusche gekommen waren, mehrere Körper entgegen. Zwei Pfleger näherten sich ihm rückwärts und hielten einen dritten Mann. Es war ein Helfer, wie aus den wenigen noch nicht blutigen Stellen seiner hellgrünen Schutzbekleidung zu schließen war. Sie hinterließen eine rote Blutspur, als sie ihn so schnell wie möglich zurückschleppten.
    Ein Blutbad , dachte Tony, als eine stämmige Gestalt aus dem Flur auftauchte, die eine Feuerwehraxt schwang wie der grimmige Schnitter seine Sense. Seine Jeans und sein Polohemd waren blutbespritzt, und kleine Tropfen fielen bei jedem Schwung von der Klinge der Axt. Voll konzentriert verfolgte der kräftige Mann seine Beute auf ihrer Flucht. »Bring sie zu Ihm. Ihr könnt euch nicht verstecken«, murmelte er monoton mit leiser Stimme. »Bring sie zu Ihm. Ihr könnt euch nicht verstecken.« Er holte auf, noch zwei Schritte, und die Axt würde wieder Haut und Gewebe durchtrennen.
    Obwohl der Mann mit der Axt nicht zu seinen Patienten gehörte, wusste Tony, wer es war. Er hatte sich extra Zeit genommen, um sich mit den Akten der Patienten vertraut zu machen, die als potenziell gewalttätig galten. Einerseits weil er sich dafür interessierte, andererseits aber auch, weil er das Gefühl hatte, sich dadurch eine Art Versicherung zu schaffen. Es sah aber so aus, als würde er heute Abend seinen Schadenfreiheitsrabatt verlieren.
    Tony blieb ein paar Stufen vor dem Ende der Treppe stehen. »Lloyd«, rief er leise.
    Allen hielt nicht inne, sondern schwang die Axt im Takt seines Mantras. »Bring sie zu Ihm. Ihr könnt euch nicht verstecken«, wiederholte er und fuhr mit der Schneide nur wenige Zentimeter von den Pflegern entfernt durch die Luft.
    Tony holte tief Luft und nahm die Schultern zurück. »So bringen Sie sie nicht zu Ihm«, sagte er laut mit der ganzen Autorität, die er aufbieten konnte. »Das verlangt Er nicht von Ihnen, Lloyd. Das haben Sie falsch verstanden.«
    Allen blieb stehen und drehte Tony das Gesicht zu. Er runzelte die Stirn wie ein Hund, der verwirrt eine Wespe betrachtet. »Es ist Zeit«, stieß er wütend hervor.
    »Da haben Sie recht«, stimmte Tony zu und kam eine Stufe weiter herunter. »Es ist Zeit. Aber Sie gehen die Sache falsch an. Legen Sie Ihre Axt hin, und dann überlegen wir uns etwas Besseres.« Er bemühte sich, streng auszusehen und sich die
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