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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Daniel Wiechmann
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uns beide nicht vorstellen. Ich, weil ich als Redakteur mit der deutschen Sprache mein Geld verdiente und mein Italienisch-Wortschatz zu siebzig Prozent aus Schimpfwörtern bestand. Francesca, weil sie nicht in ein Land zurückkehren wollte, das von einem Clown regiert wird. Da kamen ihr nur noch die Tränen. Nach langen Diskussionen, die zutage förderten, dass Francesca weder die hanseatische Gründlichkeit noch den rheinländischen Frohsinn schätzte und von Stuttgart nicht einmal wissen wollte, wo es genau liegt, einigten wir uns auf die goldene Mitte zwischen Berlin und dem italienischen Stiefel: München. Ich begann Bewerbungen loszuschicken. Und ich bekam Antworten. Viel schneller, als mir lieb war.
    Tja, und nun stand ich da, schaute in die Augen eines Vierjährigen und musste ihm etwas schmackhaft machen, von dem ich selbst nicht wusste, was ich davon zu halten hatte. So war es eben, wenn man im 21. Jahrhundert versuchte, ein sensibler Ehemann und Familienvater zu sein.
    »Ja, wir müssen wirklich fahren«, sagte ich zu Oskar. »Und ich verspreche dir, in München, das wird ein richtiges Abenteuer werden.«
    »Wiesooo?«
    »Ganz einfach, München liegt in Bayern. Und die Bayern sind ein sehr eigenartiges Volk mit sehr merkwürdigen Leuten, die lauter verrückte Sachen anstellen.«
    Diese Aussicht ließ ein kurzes Lächeln über Oskars Gesicht huschen. Verrückte Sachen gefielen ihm.
    »Verrückte Sachen?«, wollte er wissen.
    »Das verrate ich dir jetzt noch nicht. Ich will dir ja nicht die Überraschung verderben. Aber ich kann dir sagen: Es wird spek-ta-ku-lär.«
    Gott sei Dank gab sich Oskar mit meiner Antwort zufrieden. Ich konnte förmlich sehen, wie er sich anstrengte, sich allerlei Unfug und Chaos vorzustellen. Das machte er immer, wenn ich ihm ein Spektakel versprach. Es war entschieden. Der Umzug war beschlossene Sache. In vier Monaten würden wir den berühmten Weißwurstäquator überqueren und tatsächlich nach München ziehen. Ich fühlte mich erleichtert und angesichts der bevorstehenden Veränderungen erstaunlich gelassen. Schließlich konnte ich damals noch nicht ahnen, dass mein leichtfertig dahingesagtes Versprechen von verrückten Abenteuern und merkwürdigen Leuten sich als die Untertreibung des Jahres erweisen sollte. Der Umzug nach Bayern sollte unser Leben für immer verändern.

2. Kapitel: In welchem Freunde auf merkwürdige Art miteinander trauern und die Ängste eines Mannes durch Frauenlogik geheilt werden
    Die Nachricht des bevorstehenden Umzugs hinterließ bei unseren Freunden dieselbe Wirkung wie der Hinweis, man würde an einer ansteckenden Grippe leiden. Mitleidsbekundungen folgten, und wir erlebten bei vielen eine bis dahin ungewohnte Distanz. Immer wieder bekamen wir zu hören, dass es uns dort »unten« bestimmt gefallen und dass das alles bestimmt »nicht so schlimm« werden würde. Obwohl keiner von unseren Freunden jemals in Bayern gelebt hatte. Außer Thomas. Vor mehr als zehn Jahren hatte er mehrere Monate in München verbracht. Damals hatte er einfach so ziemlich überall eine Weile gelebt, ob in Köln, Hamburg oder eben in München. Thomas kannte sich also aus.
    »Und du willst wirklich aufs Dorf ziehen?«, fragte er mich, als wir eines Abends bei einer sehr guten Flasche Wein beieinander saßen.
    »Ich ziehe doch nicht aufs Dorf. München ist eine Millionenstadt. Übrigens nach Berlin und Hamburg die drittgrößte, die wir in Deutschland haben.«
    »Nicht überall, wo eine Million draufsteht, ist auch eine Million drin! Glaube mir, ich war da. München ist winzig. Und die Leute erst, alles selbstverliebte Konformisten. Ich meine, die Bayern haben vierzig Jahre lang nur CSU gewählt. Edmund Stoiber, lass dir das mal bitte auf der Zunge zergehen, ein Mann wie Edmund Stoiber ist da unten ein Volksheld.«
    »Thomas, Berlin hat einen Bürgermeister, der Sekt aus Frauenschuhen trinkt!«
    »Hat er doch gar nicht! Das ist ein totaler Mythos. Der Wowi hat damals bei der Bambi-Verleihung nur einen Schuh in der einen Hand und eine Flasche Sekt in der anderen gehalten. Fürs Foto. Und selbst wenn, Sekt aus Frauenschuhen zu trinken, ist immer noch besser, als Maßkrüge im Bierzelt zu stemmen. Du wirst schon sehen, München ist ganz anders. Und Bayern sowieso.«
    Stirnrunzelnd schnappte sich Thomas die Weinflasche, die noch zu gut einem Drittel voll war, und goss den verbliebenen Inhalt komplett in sein Glas.
    »Den brauchst du ja nicht mehr«, sagte er zu mir. »Du trinkst ja
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