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SCHLANGENWALD

Titel: SCHLANGENWALD
Autoren: Ilona Mayer-Zach
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hatte keine Ahnung, wie viel Zeit seit ihrer Flucht vergangen war und wo sie sich befand. Sie hoffte, dass es den anderen gut ging und sie ebenfalls entkommen konnten.
    Nachdem sie sich ein wenig von den Strapazen erholt und noch immer kein verdächtiges Geräusch gehört hatte, versuchte sie sich zu erinnern, woher sie gekommen war. Sie hatte alles daran gesetzt, so schnell wie möglich vor den Männern und dem Kugelhagel zu flüchten, ohne an den Rückweg zu denken.
    Erst in diesem Moment wurde ihr die ausweglose Situation bewusst, in die sie sich selbst gebracht hatte. Paula, die über einen miserablen Orientierungssinn verfügte und sich bei jeder Gelegenheit verlief, befand sich mutterseelenallein im Urwald. Sie hatte keine Ahnung, wo Norden oder Süden war, hatte weder Wasser noch Nahrung bei sich. Sie musste sich eingestehen, dass es leichtsinnig gewesen war, so tief in den Urwald vorzudringen. Paula war zu weit gelaufen. Sie hatte sich gewissermaßen selbst entsorgt.
    Sie irrte noch eine Weile durchs Gebüsch und versuchte, den Rückweg zu finden. Doch irgendwann gab sie die Suche auf. Erschöpft ließ sie sich zwischen den Wurzeln eines riesigen Baumes nieder. Der Schmerz in der Schulter war inzwischen unerträglich geworden. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht und sie zitterte am ganzen Körper vor Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit. Noch schimmerte hie und da Tageslicht durch die Blätterkronen der Bäume. Doch bald würde rund um sie herum nur mehr Dunkelheit herrschen. Paula war allein inmitten des Urwalds mit all seinen Bewohnern. Dabei jagten ihr schon die harmlosen Weberknechte Angst ein, die sich zuHunderten dicht an dicht auf dem Nachbarbaum drängten und dessen Stamm mit ihren Leibern bedeckten. Nicht zu reden von der riesigen, gelb gestreiften Spinne, die sich in ihrem golden gefärbten Netz entlanghangelte.
    Noch einmal stemmte sich Paula hoch, noch einmal versuchte sie den Weg zurückzufinden, strauchelte, fiel eine Böschung hinab, überschlug sich. Mit letzter Kraft rappelte sie sich hoch. Es war dämmrig geworden und Hoffnungslosigkeit machte sich in ihr breit. Um sie herum waren Blätter, Stauden, Spinnennetze und überall krabbelte es. Paula ignorierte das Knacken unter ihren Füßen. Sie musste einen Platz finden, an dem sie die Nacht verbringen konnte. Ihr Fuß rutschte in ein Loch und blieb hängen. Sie konnte sich nirgends festhalten, fiel vornüber ins Gebüsch. Dornen durchbohrten ihre Hand, dachte Paula zuerst. Dann sah sie die Schlange, die hastig im Unterholz verschwand, und es wurde ihr schwarz vor Augen.

Zweiundzwanzig
    Montag
    Als Paula die Augen wieder öffnete, lag sie in einem weiß ausgemalten Zimmer, mit weißen Möbeln aus Holz, in einem weißen Bett mit weißer Bettwäsche und sie selbst trug ein, ebenfalls weißes, Nachthemd. Sie wusste nicht gleich, wo sie sich befand. Ihre Schulter war verbunden und tat noch immer höllisch weh. Das zeigte ihr wenigstens, dass sie noch lebte. Der einzige Farbtupfer war Markus, in Jeans und hellblauem T-Shirt, der am Bett saß und sie anlächelte. Die Uhr über der weißen Tür zeigte halb fünf.
    Paula schloss wieder die Augen. Es war ein schöner Traum. Sie wollte ihn noch eine Weile weiterträumen.
    „Paula?“
    Diese Stimme war kein Traum. Das war tatsächlich Markus. Paula schlug nochmals die Augen auf und sah sich noch einmal um. „Wo bin ich?“
    Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie mitten im Urwald gesessen war, neben Weberknechten und giftigen Spinnen. Aber war da nicht noch etwas gewesen? Richtig, sie war gestürzt, ein Schmerz an der Hand, eine Schlange, die davonkroch. Paula betrachtete den Verband über ihrer Hand.
    „Du bist im Krankenhaus von Tamarindo . Du hattest riesiges Glück. Du bist von einer Schlange in die Hand gebissen worden, aber sie war glücklicherweise nicht giftig. Die Entzündung war dennoch heftig, deine Schulter ist geprellt und du warst völlig ausgetrocknet. Aber Hauptsache, dir ist nicht noch Schlimmeres passiert.“
    „Wie habt ihr mich gefunden? Und wie geht es den anderen?“
    „Sally und Ricarda geht es gut, Blanco wurde getroffen. Ricarda war es auch, die dich in diesem grünen Wirrwarr aus Blättern, Bäumen und Wurzeln gefunden hat. Wir anderen hätten dich wohl niemals aufgespürt.“
    Dann erzählte Markus, dass er am Samstag mehrmals in Paulas Pension angerufen hatte. Als ihm dann die Wirtin sagte, dass Paula noch nicht zurückgekommen war, hatten bei ihm alle
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