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SCHLANGENWALD

Titel: SCHLANGENWALD
Autoren: Ilona Mayer-Zach
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bis zehn Fällen zum Tod führten, beruhigte Paula nur wenig. Statistiken waren letztendlich für denjenigen, den es betraf, völlig irrelevant.

Fünf
    Sonntag
    1.
    Eine Schlange in menschlicher Gestalt trübte Paulas Wiedersehensfreude mit den Eltern.
    „Tante Irma hat uns unerwartet heimgesucht. Wir konnten nichts tun. Du kennst sie ja. Ausladen war nicht möglich“, raunte ihr der Vater zu, kaum dass er die Tür geöffnet hatte. Bedauernd hob Edgar Ender die Schultern. Der große Mann war hilflos, wenn es um Tante Irma, das Schreckgespenst, ging. Paula konnte ihn verstehen. Sie ging ihr möglichst aus dem Weg, dennoch passierte es immer wieder, dass sie in den zweifelhaften Genuss ihrer Gesellschaft kam. Tante Irma war über achtzig, sah aus wie ein Weihnachtsengel mit weißen Locken und rosa Pausbäckchen, doch ihre Äußerungen waren alles andere als engelsgleich: Gerüchte und Bösartigkeiten gingen ihr leicht von den Lippen.
    „Hallo Paula-Schatz. Geh gleich hinein. Tante Irma ist auch da …“, trällerte ihre Mutter, die mit einer großen Glasschüssel Kartoffelsalat von der Küche ins Wohnzimmer lief. Während sie die angelehnte Tür mit dem Ellenbogen aufstieß, verzog sie das Gesicht zu einem starren Lächeln, das nur Paula und Edgar sehen und entsprechend interpretieren konnten.
    Niemand mochte Tante Irma. Aber die Verwandtschaft konnte man sich nun mal nicht aussuchen.
    „Ja hallo, dass man dich auch wieder einmal sieht“, wurde Paula zynisch begrüßt. Diese beließ es bei einem „Grüß dich, Tante“ und setzte sich möglichst weit weg von ihr. Was natürlich nichts nützte. Tante Irma entkam man nicht.
    Paula hatte sich die ganze Zugfahrt nach Krems auf das gemütliche Beisammensein mit den Eltern gefreut, auf deren Erlebnisberichte, Fotos und natürlich auf das gute Essen ihrer Mutter.
    Am Vortag hatte sie ein unangenehmes Telefongespräch mit Markus geführt. Er hatte sich ihre Äußerungen im Auto durch den Kopf gehen lassen und war zu dem Schluss gekommen, dass es wohl besser war, wenn sie sich eine Zeit lang nicht mehr sahen. Paula war völlig perplex gewesen. Da erschien die Welt einen Tag zuvor noch einigermaßen in Ordnung, und plötzlich sprach er von Trennung. Obwohl Paula zugeben musste, dass sie selbst schon mehrmals mit diesem Gedanken gespielt hatte. Aber bis zur Tat war es meistens ein weiter Weg. Umso größer war daher ihre Bestürzung, als Markus von sich aus einen vorübergehenden Schlussstrich unter die Beziehung zog und ihr damit jede Entscheidungsmöglichkeit nahm.
    „Und? Hast du schon einen Heiratstermin ins Auge gefasst?“, unterbrach Tante Irma ihre Gedanken. Es war die falsche Frage zum falschen Zeitpunkt. Hilfe suchend blickte Paula zu ihrer Mutter.
    „Irma, ich bitte dich. So schnell heiraten die jungen Leute heute nicht mehr. Die wollen halt noch etwas von der Welt sehen, bevor sie sich binden. Stell dir vor, Paula fährt demnächst nach Costa Rica.“
    „Costa was?“, fragte Irma mürrisch.
    „Costa Rica, ein schönes Land in Mittelamerika.“
    „Du meine Güte! Dorthin muss sie fahren? Wo die Leute in Armut leben und alle möglichen Krankheiten auf sie lauern? Also Paula, wirklich. Konntest du dir nicht ein angenehmeres Reiseziel aussuchen? Vielleicht Florida, wenn du schon so weit weg musst. Dort soll es wunderbar sein, hat mir eine Bekannte erzählt. Ich halte ja nicht viel von den Amis, aber lieber sind sie mir noch allemal als diese Hottentotten im Urwald.“
    „Erstens leben in Costa Rica keine Hottentotten. Die Völkergruppe der Khoi Khoi, die so genannt wurde, ist eine Völkergruppe in Südafrika. Zweitens ist dieser Begriff rassistisch und ich möchte nicht, dass du ihn verwendest. Drittens zählt das Land Costa Rica zu einem der schönsten dieser Gegend und viertens fahre ich nicht auf Urlaub, sondern muss beruflich dorthin.“ Paula war stolz auf sich. Jetzt hatte sie Tante Irma ordentlich Paroli geboten.
    „Kind, was du für eine komische Arbeit hast. Die Tochter von meiner Nachbarin, die Gitti, die arbeitet im Rathaus. Das ist ein vernünftiger Beruf. Oder die Mitzi, die Nichte von meiner Putzfrau, die arbeitet in einem großen Unternehmen im Büro. Die schickt keiner in irgendein Kaff im Dschungel. Bei dir weiß ich manchmal wirklich nicht, wozu du studiert hast. Kein Mann, keine Kinder, kein Haus, kein anständiger Beruf. Du solltest dich wirklich an der Nase nehmen und endlich etwas Ordentliches beginnen.“
    Es war sinnlos mit Tante
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