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Schlangen im Paradies

Schlangen im Paradies

Titel: Schlangen im Paradies
Autoren: Mary Higgins Clark
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fest im Griff, so daß jede Bewegung für ihn schmerzhaft war. Er fing seinerseits an, Leila anzuschreien, und wollte auf sie einschlagen.
    Mama mußte wohl den Lärm gehört haben, denn das Schnarchen verstummte. Sie kam ins Zimmer, in ein Bettlaken gehüllt, Ringe unter den trüben Augen, das schöne rote Haar zerzaust.
    «Was geht hier vor?» murmelte sie. Ihre verschlafene Stimme klang ärgerlich. Elizabeth entdeckte eine Beule an ihrer Stirn.
    «Mach du lieber deiner Tochter klar, daß sie nicht verrückt spielen soll, wo ich doch bloß ’n bißchen nett sein und ihrer Schwester vorlesen wollte – was ist denn da schon dabei?» Es hörte sich wütend an, aber Elizabeth merkte, daß Matt es mit der Angst zu tun bekam.
    «Und du mach lieber diesem miesen Kinderschänder klar, daß er sich rausscheren soll, oder ich rufe die Polizei.» Leila riß Matt noch einmal heftig am Schopf, bevor sie ihn losließ, um ihn herumging, sich zu Elizabeth aufs Bett setzte und sie in die Arme nahm.
    Mama begann auf Matt einzuschreien, dann begann Leila, auf Mama einzuschreien, und schließlich gingen Mama und Matt in ihr Zimmer und stritten sich dort weiter. Danach lange Schwei-gepausen. Als sie aus dem Zimmer kamen, waren sie angezogen und sagten, das Ganze sei ein Mißverständnis und sie wollten jetzt ein Weilchen ausgehen, solange die beiden Mädchen hier zusammen wären.
    Nachdem sie das Haus verlassen hatten, sagte Leila: «Ob du wohl eine Dose Suppe aufmachen und uns ein Hacksteak braten könntest? Ich muß inzwischen nachdenken.» Bereitwillig ging Elizabeth in die Küche, um das Essen vorzubereiten. Während sie es schweigend verzehrten, merkte Elizabeth, wie froh sie über Mamas und Matts Abwesenheit war. Wenn sie zu Hause waren, tranken sie und küßten sich, oder sie stritten und küßten sich. Beides war gleich gräßlich.
    «Sie ändert sich nie», erklärte Leila schließlich.
    «Wer?»
    «Mama. Sie ist ’ne Säuferin, und egal wen, einen Kerl wird sie immer haben, bis sie dann einfach kein lebendes Mannsbild mehr findet. Aber ich kann dich nicht bei Matt zurücklassen.»
    Zurücklassen! Leila durfte nicht weggehen …
    «Also pack deine Sachen zusammen», befahl Leila. «Wenn dieser Schuft anfängt, dich zu betatschen, bist du hier nicht mehr sicher. Wir nehmen den letzten Bus nach New York.» Dann streckte sie die Hand aus und zerzauste ihr das Haar. «Wie ich es schaffe, wenn wir erst mal dort sind, das weiß nur der liebe Gott, Spatz, aber ich passe auf dich auf, das verspreche ich.»
    An diesen Augenblick erinnerte sich Elizabeth später über-deutlich. Sie sah jede Einzelheit vor sich: Leilas Augen, nicht mehr von Zorn verdunkelt, sondern wieder smaragdgrün schimmernd, aber mit einem stahlharten Blick; Leilas schlanker, straffer Körper, ihre katzenhafte Anmut; Leilas glänzendes rotes Haar, das in dem von oben hereinfallenden Licht noch heller aufleuchtete; Leilas volltönende, kehlige Stimme, die sagte:
    «Hab keine Angst, Spatz. Es wird Zeit, den Staub unserer alten Heimat Kentucky von den Füßen zu schütteln.» Dann begann Leila, trotzig lachend, zu singen: «Ich will dich nie mehr weinen sehn …»

    Samstag, 29. August 1987
    1
    Die Sonne versank hinter den Zwillingstürmen des World Trade Center, als die Maschine aus Rom über Manhattan zu kreisen begann. Elizabeth preßte die Stirn an die Scheibe, trank den Anblick in sich hinein: die Wolkenkratzer, die frisch renovierte Freiheitsstatue, eine Fähre beim Durchqueren der Narrows. Diesen Augenblick hatte sie früher am Ende einer Reise genossen: das Gefühl, nach Hause zu kommen. Diesmal jedoch wünschte sie sich sehnlichst, an Bord bleiben zu können, weiterzufliegen –
    egal, wohin …
    «Einfach zauberhaft, dieser Blick, finden Sie nicht?» Als sie an Bord gekommen war, hatte die Platznachbarin, ein Großmut-tertyp, freundlich gelächelt und ihr Buch aufgeschlagen. Zu ihrer Erleichterung, denn sieben Stunden Konversation mit einer Unbekannten, das war das Letzte, was sich Elizabeth wünschte.
    Jetzt hatte sie freilich nichts mehr dagegen. In wenigen Minuten würden sie ja landen. Also fand sie den Blick ebenfalls zauberhaft.
    «Das war meine dritte Italien-Reise», fuhr ihre Nachbarin fort. «Aber ich bin das letzte Mal im August dort gewesen. Es wimmelt nur so von Touristen. Und diese schreckliche Hitze.
    Wo waren Sie überall?»
    Die Maschine setzte zum Landeanflug auf den Kennedy Air-port an. Elizabeth fand, daß sie die Frage genausogut
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