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Schlamm, Schweiß und Tränen

Schlamm, Schweiß und Tränen

Titel: Schlamm, Schweiß und Tränen
Autoren: Bear Grylls
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auszusetzen.
    Ein Überlebender des Unglücks sagte damals vor dem Ulster High
Court - dem Obersten Gericht - aus, dass er gehört hätte, wie Walter
der Mannschaft genaue Instruktionen erteilt hatte: „Los, los, macht
weiter, versorgt zuerst die Frauen und Kinder mit Rettungswesten."
    In sturmgepeitschter, tosender See sorgten der Kapitän und seine
Besatzung dann dafür, dass die von panischer Angst getriebenen Passagiere die Rettungsboote bestiegen.
    Zu diesem Zeitpunkt konnten sie allerdings nicht ahnen, dass sie
die Rettungsboote mit den Frauen und Kindern in den sicheren Tod
schicken würden.
    Denn als die Rettungsboote heruntergelassen wurden, saßen die Passagiere zwischen dem Stahlrumpf der Fähre und der weiß schäumenden
Gischt der hereinbrechenden Wellenberge sozusagen in der „Todesfalle".

    In dieser Situation waren sie den starken Sturmböen und dem peitschenden Regen erbarmungslos ausgeliefert - es gab kein Entrinnen.
    Durch die Gewalt der seitlich aufschlagenden Wellen gerieten die
Rettungsboote in eine unkontrollierte Rotationsbewegung um ihre
Längsachse, wobei die von vorn auftreffenden Wellen die Boote zusätzlich noch um ihre Querachse drehten - das heißt, sie schaukelten
und schlingerten hilflos vor sich hin und schafften es nicht, sich vom
Rumpf der Fähre zu entfernen. Angesichts der heftigen Orkanböen
und des hohen Seegangs war die Mannschaft nicht in der Lage, die
Evakuierung des Schiffes voranzutreiben und musste ohnmächtig mit
ansehen, wie schließlich fast alle Rettungsboote - eins nach dem anderen - kenterten.
    Doch jetzt im Januar würde die Überlebenszeit der Passagiere in
dem eiskalten Wasser der Irischen See nur wenige Minuten betragen.
    In immer kürzeren Abständen schlugen die Wellen nun mit voller
Wucht gegen das Schiff und es zeichnete sich ab, dass die Fähre diesem Sturm nicht standhalten konnte. Der Kampf des Schiffes gegen
die Naturgewalten war aussichtslos - der Kapitän wusste es und Walter wusste es auch.
    Die Sir Samuel Kelly, das Seenotrettungsboot aus Donaghadee,
lief an diesem Samstag etwa gegen 13:40 Uhr aus und schaffte es bei
schwerer See, die havarierte Fähre zu erreichen.
    Die Besatzung musste sich durch heftige Böen und schwere Brecher kämpfen, aber es gelang ihr, von den 165 Passagieren zumindest
33 lebend zu bergen.

    Als ehemaliger Pilot im Ersten Weltkrieg reiste Walter stets lieber
mit dem Flugzeug als mit dem Schiff. Jedes Mal, wenn er mit der
„Dakota" von London zurück nach Nordirland flog, bat er darum,
dass er auf dem Vordersitz sitzen darf, damit er - so witzelte er immer
- im Fall eines Absturzes als Erster tot ist.
    Es war schon Ironie des Schicksals, dass er nicht durch einen Flugzeugabsturz ums Leben kam, sondern durch eine Schiffsreise.

    Er hatte alles Erdenkliche getan, um den Passagieren zu helfen;
alle Möglichkeiten waren ausgeschöpft. Es war kein Rettungsboot
mehr übrig. Walter zog sich still in seine Kabine zurück und wartete
- er wartete darauf, dass die tosende See dem Schiff endlich den Todesstoß gab.
    Er musste nicht lange warten, aber diese Zeit muss ihm wie eine
Ewigkeit vorgekommen sein. Das Glas im Bullauge von Walters Kabine muss in tausend Stücke zerborsten sein, als es dem unaufhörlichen Druck der Wassermassen nachgab.
    Mein Urgroßvater Walter, der Kapitän der Princess Victoria sowie
129 weitere Personen - Besatzungsmitglieder und Passagiere - sie alle
sind von der brüllenden See verschlungen und in die Tiefe gerissen
worden.
    Tot.
    Dabei waren sie nur wenige Meilen von der nordirischen Küste
entfernt; Portavo Point - Walters und Margarets Zuhause - war schon
fast in Sichtweite.
    Margaret und ihre Familie standen am Fenster im Gesellschaftszimmer und schauten hinaus auf die Bucht - sie konnten beobachten,
wie die Leuchtsignale der Küstenwache, mit denen die Besatzungsmitglieder des Seenotrettungsboots in Donaghadee zu ihren Einsatzorten geleitet wurden, den Himmel hell erleuchteten -, aber sie konnten nichts weiter tun, als voll banger Sorge zu warten und zu beten.
    Ihre Gebete wurden jedoch nicht erhört.

     

Das Seenotrettungsboot von Donaghadee
fuhr am nächsten Morgen - einem Sonntag - früh um sieben Uhr
noch einmal hinaus auf See; der Sturm war vorüber und das Meer war
gespenstisch ruhig und spiegelglatt. Im Umkreis der Unglücksstelle
fand die Rettungsmannschaft zwar zahlreiche kleinere Wrackteile,
konnte aber letztlich nur die Leichen von elf Männern,
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