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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann
Autoren: Evi Simeoni
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vielleicht ein Glück, dachte ich noch einmal. Ich schob meinen Block in die Tasche und holte mir eine Bratwurst und ein weiteres Bier. Und dann noch ein Bier. Und schrieb später: »Arne Hansen, der Olympia-Held, in seiner bewährten und bestechenden Form. Ein Mann, der alles kann.« Gute Geschichte, wirklich.
    Ich stieg in mein Auto und fuhr zurück in mein eigenes Leben.
    Doch so kann das alles nicht stehenbleiben.
    Erst nach 17 Jahren erfuhr ich, was eine Stunde später geschah.

MÜLLER,
    eigene Aufzeichnungen, 2008
    Sie trug hohe und dünne Absätze, die mit einem scharfen Geräusch durch die Fasern des Teppichbodens fuhren. Die schwarzen Lackschuhe glänzten makellos. Eine top gepflegte Frau, ihr Äußeres sah nach harter Arbeit aus. Es machte mich traurig, zu sehen, dass sie sichtbar an Gewicht zugelegt hatte, und der Glanz der Jugend war weg. An jenem Sommerabend vor 17 Jahren war sie umwerfend gewesen, sie schien unschlagbar. Aber jetzt: Ich hätte eine Übergangszeit gebraucht, um mich an ihre Veränderung zu gewöhnen. Sie mochte jetzt Mitte vierzig sein.
    Ich hob den Blick und sah vor mir eine Dame im Kostüm gehen, ja, gehen konnte sie noch mit ihrem alten Schwung, und den Kopf trug sie hoch wie eh und je, so elegant, als hätte sie eine Hauptrolle in »Schwanensee«. Mylady – der Name, den sie ihr damals gaben, passt heute besser zu ihr. Das goldbraune Haar ist wahrscheinlich inzwischen getönt, es war glatt hochgesteckt und gab einen immer noch zarten Nacken frei. Gräfin Anna Amalia von Osterthal. Anja.
    Sie drehte sich mit einem höflichen Lächeln zu mir um und wies mir mit der Hand den Weg in ein Büro mit Glaswänden.
    »Ich sage Ihnen aber gleich, dass ich nicht viel Zeit habe.«
    Ich hatte den Eindruck, dass sie sich nicht an mich erinnerte.
    »Müller«, sagte ich deshalb mit Nachdruck. »Paco Müller, wie ich schon am Telefon sagte.«
    »Ja. Ich weiß.«
    »Ich habe lange gebraucht, um mit dieser Recherche zu beginnen«, sagte ich.
    Sie setzte sich auf den schwarzledernen Sessel hinter einenSchreibtisch mit gläserner Platte, ich drückte mich auf den Besucherstuhl und holte meinen Recorder hervor, ein Kassettengerät aus grauer Vorzeit, an dem ich besonders hänge.
    »Was wollen Sie denn mit der alten Geschichte?«, fragte sie und nahm vom Schreibtisch einen Kugelschreiber, auf dem sie fahrig herumklickte. »Wissen Sie …« Sie blies sich eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, und ich staunte, dass nur so wenig nötig war, um die junge, unwiderstehliche Anja von damals wieder zu beleben. Sie sprach nicht weiter.
    »Ich glaube …«, fing ich nun an und räusperte mich. »Das heißt … Ich glaube nicht, dass wir es ihm schuldig sind, herauszufinden, warum alles so gekommen ist.«
    Sie klickte weiter.
    »Ihm vielleicht nicht«, sagte ich. »Er ist dort, wo er hin wollte. Aber wir sind es uns selbst schuldig.«
    »Wieso?«
    »Immerhin«, erklärte ich, »steht die Frage im Raum, warum so lange Zeit niemand gemerkt hat, was mit Arne los war. Der Trainer nicht, seine Sportkameraden nicht. Nicht einmal Sie als seine Freundin. Und ich auch nicht.«
    »Paco Müller«, sagte sie plötzlich lächelnd, und ihr Gesichtsausdruck zeigte mir, dass die Erinnerung zurückkam. »Jetzt weiß ich wieder, wer Sie sind. Er fand Sie ganz sympathisch. Sie waren der Einzige von all den Reportern, mit dem er mehr als drei Worte am Stück gesprochen hat.«
    »Naja«, sagte ich, hob abwehrend die Hände und bemühte mich, zu lachen. »Dreieinhalb Worte vielleicht, aber auch das war schon ein Ritterschlag, Gräfin.«
    Sie verzog den Mund, nahm einen Stapel Papiere hoch und legte sie sofort wieder hin.
    »Erstaunlich, wie die Jahre uns verändern«, sagte sie. »Sie sind ganz schön dick geworden. Und das Rauchen haben Sie offenbarauch nicht aufgegeben. Ich fand das immer schrecklich: Jemand, der sich sein Leben lang mit Sport befasst und selbst so ungesund lebt. Das habe ich bei vielen Leuten in Ihrem Metier festgestellt. Schlechte Kleidung, schlechte Haltung – ich nehme an, auch schlechte Bezahlung.«
    »Richtig«, sagte ich und schluckte den Rest meiner Antwort hinunter. Es konnte ja nicht jeder einen Vater mit einer eigenen Privatbank haben, wo man unterschlüpft, nachdem man erst das Studium der Kunstgeschichte geschmissen, sich dann in Betriebswirtschaft gerettet und zwei Ehen an die Wand gefahren hat. Jetzt war sie Personalchefin und wäre sicherlich selbst an ihren eigenen Einstellungskriterien
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