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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition)
Autoren: Ingrid Law
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flatterten und die Papierservietten flogen vom Tisch. Die Luft im Zimmer wurde feuchtwarm, als hätte das Haus einen Schweißausbruch bekommen, und die vielen verstaubten, fest verschlossenen, scheinbar leeren Einmachgläser, die auf allen Schränken standen, klirrten und klapperten wie Sektgläser an Silvester. Draußen regnete es schon Fish-Regen, binnen Sekunden wurde aus dem Sprühregen ein heftiger Guss, während Fish glotzäugig wie sein Namensvetter starrte, seine Angst, aber nicht seinen Schimmer in Schach halten konnte.  
    »Momma?«, sagte Rocket. Die Luft um ihn herum knisterte, so aufgeladen war sie, und sein T-Shirt klebte an ihm wie Socken an Handtüchern, wenn sie frisch aus dem Trockner kommen. Die Lichter im Haus flackerten und knisterten, knackende blaue Funken sprühten von seinen nervös zuckenden Fingerspitzen.  
    Momma schaute auf Poppas leeren Stuhl und seinen wartenden Teller, dann wandte sie sich uns zu und erzählte mit zitterndem Kinn von dem Unfall auf dem Highway. Sie erzählte uns, dass Poppas Auto zerdrückt worden war wie eine Coladose von einem Cowboystiefel und Poppa vergessen hatte auszusteigen, bevor es geschah, und jetzt schlief er in einem Bett im Salina Hope Hospital, schwer verletzt, und konnte nicht aufwachen.  
    »Keine Angst, Kind«, sagte Opa, als wäre die Zeit zurückgesprungen und Momma wieder ein kleines Mädchen, das auf seinem Knie saß und um eine kaputte Puppe weinte. »Die Ärzte wissen schon, was sie tun. Die flicken dir deinen Kerl im Nu zusammen. Die nähen ihm die Knöpfe schon wieder an.« Opa Bomba sprach ruhig und zuversichtlich. Doch als Rockets nervöse Funken Opas Gesicht wie die Blitze eines Stroboskops erhellten, sah ich die Sorge tief in seine Falten eingebrannt.  
    Die Hälfte der Hälfte der Hälfte einer Sekunde lang hasste ich Poppa. Ich hasste ihn dafür, dass er so weit weg von zu Hause arbeitete und jeden Tag über den Highway fahren musste. Dafür, dass er den Unfall gehabt und uns den Schmorbraten verdorben hatte. Vor allem wurde mir klar, dass es meine vollkommene Torte mit rosa und gelbem Zuckerguss jetzt wohl nicht geben würde, und ich hasste Poppa dafür, dass er mir meinen wichtigsten Geburtstag verdarb, noch bevor es so weit war. Und dann empfand ich Scham, heiße Scham, dass ich so etwas über meinen lieben guten Poppa dachte, und sackte tiefer in meinen Stuhl. Um es wiedergutzumachen, saß ich still da und aß die lästigen grünen Bohnen unter meinem Kartoffelbrei allesamt auf, während Fishs Regen gegen die Fenster schlug und Rocket alle Glühbirnen im Haus mit einem elektrischen Zischeln und einem Plopp durchbrennen ließ, Glasscherben klirrend zu Boden fielen und es im ganzen Haus stockdunkel wurde.  

2. Kapitel
     
    Später, als ich in dem dunklen Zimmer wach lag, das ich mir mit Gypsy teilte, lauschte ich dem tiefen, gleichmäßigen Atem meiner Schwester und dem unentwegten Prasseln von Fishs Sorgenregen. Ich hörte Momma und Rocket, wie sie unten Scherben auffegten und neue Glühbirnen in die Lampen schraubten. Und obwohl Opa auch schon im Bett war, grummelte hin und wieder der Boden und unter mir wackelte es, als hätte die Erde Bauchgrimmen.  
    Momma und Rocket wollten früh am nächsten Morgen nach Salina fahren und in einem Motel nicht weit vom Krankenhaus übernachten. Ich hatte gebettelt, mitfahren zu dürfen, ich wollte unbedingt Poppa sehen und in einem Motel schlafen und solche in Papier verpackten kleinen Seifen haben. Aber wir mussten mit Opa zu Hause bleiben. Rocket durfte nur mit, weil der Strom in seinen Fingern das Einzige war, womit das alte Auto ansprang.  
    Keiner hatte was von meinem Geburtstag gesagt. Überhaupt hatte keiner groß irgendwas gesagt. Ich lag fast die ganze Nacht wach, ich konnte einfach nicht schlafen, bis Momma mit dem Morgengrauen zu mir ins Zimmer geschlichen kam, leise »tschüs« flüsterte und mir mit ihren vollkommenen rosaroten Lippen einen Kuss auf die Wange hauchte. Ich war immer noch wütend, weil ich nicht mit nach Salina durfte, und stellte mich schlafend, und kurz darauf hörte ich, wie die Autotüren zuschlugen und der Motor dank Rockets Funken stotternd ansprang, und dann fuhren Rocket und Momma davon.  
    An dem Freitag vor meinem Geburtstag sollte Fish auf Gypsy und Opa Bomba aufpassen. Ich sollte Samson wecken, ihn für die Schule fertig machen und zusehen, dass wir beide es die drei steilen Stufen hoch in den großen orangen Bus schafften, der Samson und
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