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Schiffsdiebe

Schiffsdiebe

Titel: Schiffsdiebe
Autoren: Paolo Hannes; Bacigalupi Riffel
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der Lunge. Er wünschte, er könnte schon Schluss machen und wieder rauskriechen. Wenn er jetzt umkehrte, würde er in zwanzig Minuten das Deck erreichen und saubere Luft atmen.
    Aber was, wenn er dann noch nicht genug hinausgeschafft hatte?
    Bapi konnte ihn schon jetzt nicht leiden. Und Sloth machte keinen Hehl daraus, dass sie es auf seinen Job abgesehen hatte. Ihre Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf: » Ich würde zwanzigmal so viel Beute machen wie Nailer.«
    Eine Warnung. Jetzt hatte er Konkurrenz.
    Es spielte keine Rolle, dass Pima sich für ihn verbürgte. Wenn es Nailer nicht gelang, die Quote zu erreichen, würde Bapi ihm die Wangen aufschlitzen und es mit Sloth versuchen. Und Pima würde rein gar nichts dagegen tun können. Niemand behielt seinen Job, wenn er keinen Profit machte.
    Nailer schlängelte sich weiter – er hatte das Gefühl, Sloths heißen Atem im Nacken zu spüren. Immer mehr Kupfer klatschte auf den Boden des Schachts. Dann verblasste seine LED ganz. Er war allein. Er würde sich entlang der Stromkabel zurückhangeln müssen. Zum ersten Mal hatte er Angst, er könnte nicht mehr hinausfinden. Der Tanker war riesig, eines der Arbeitspferde des Ölzeitalters, fast schon eine schwimmende Stadt. Und er befand sich tief in seinen Eingeweiden.
    Als Jackson umgekommen war, hatte seine Kolonne vergeblich nach ihm gesucht. Sie hatten gehört, wie er gegen das Metall gehämmert und um Hilfe gerufen hatte, aber niemand war es gelungen, einen Zugang zu dem doppelwandigen Schiffsrumpf zu finden, in dem er festsaß. Ein Jahr später hatte eine Schwere Kolonne den stählernen Rumpf aufgeschnitten, und der mumifizierte Leichnam des kleinen Lausfressers war herausgeschossen wie eine Tablette aus einer Blisterpackung. Von Ratten angefressen und völlig vertrocknet.
    Nicht daran denken. Du rufst nur seinen Geist herbei.
    Die Wände des Schachts streiften inzwischen schon seine Schultern. Nailer kam sich vor wie ein Korken in einer Flasche. O Gott – in der Finsternis festzustecken und sich nicht mehr bewegen können! Er spannte seine Muskeln an, glitt ein Stück weiter und riss noch ein paar Meter Kabel herunter.
    Aber das war jetzt genug. Mehr als genug.
    Obwohl Nailer nichts sehen konnte, kratzte er den Code von Bapis Leichter Kolonne in die Wand – er wollte wenigstens den Versuch unternehmen, diesen Abschnitt für später zu markieren. Dann rollte er sich zu einer Kugel zusammen. Endlich umkehren! Ellbogen und Rücken schabten über das Metall. Verzweifelt drückte er sich die Knie ans Kinn und bemühte sich, nicht an Korken und Flaschen zu denken oder daran, wie Jackson einsam in der Dunkelheit gestorben war. Komm schon, mach dich klein! Noch kleiner! Der Schacht knarrte, während er sich langsam weiterdrehte.
    Dann hatte er es endlich geschafft! Erleichtert atmete er auf.
    In einem Jahr würde er für diese Arbeit zu groß sein und Sloth würde seinen Job übernehmen. Er mochte klein sein für sein Alter, aber irgendwann wurde jeder zu groß für die Leichte Kolonne.
    Nailer schlängelte sich den Schacht entlang, wobei er das Kabel vor sich zusammenrollte. Sein keuchender Atem in der Maske war das lauteste Geräusch, das er hörte. Er verharrte kurz, die Finger um das Kupferkabel geschlossen – wenn er sich daran festhielt, würde er den Weg zurück ans Licht schon finden, ganz bestimmt!
    Keine Panik! Du hast das Kabel selbst runtergerissen. Lass es bloß nicht los …
    Hinter ihm hörte er ein Trippeln.
    Nailer erstarrte und bekam eine Gänsehaut. Wahrscheinlich eine Ratte. Aber sie klang so groß! Vor seinem geistigen Auge tauchte ungebeten ein anderes Bild auf. Jackson. Der Geist des toten Jungen schien Gestalt anzunehmen, wie er hinter ihm in der Finsternis lauerte. Ihm nachschlich. Die trockenen Knochenfinger nach seinen Fußknöcheln ausstreckte …
    Nailer biss sich auf die Unterlippe. Das war doch nur Aberglaube. Wenn jemand unter Verfolgungswahn litt, dann Moon Girl, und nicht er. Aber Angst hatte er jetzt schon. Er schob die Kabelstränge beiseite – er musste so schnell wie möglich hier raus! Er konnte ja seine LED -Farbe erneuern und wieder zurückkriechen, um sich in Ruhe umzuschauen. Sloth und Bapi konnten ihn mal. Er brauchte frische Luft!
    Nailer quetschte sich an dem Kabelgewirr vorbei. Der Schacht knarrte bedrohlich, als würde er sich über die Last beschweren, die ihm zugemutet wurde. Er hätte alles in Stücke schneiden sollen, damit Pima und Sloth es mit der Spule rausziehen
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