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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gerholdt zuckte zusammen. Während das Mädchen die Büchse in Papier einrollte, tönte die Stimme durch den Raum.
    »In der vergangenen Nacht wurde aus dem Hause des Reeders Werner von Buckow dessen fünf Monate alte Tochter Rita entführt. Der Täter, ein junger, großer Mann Mitte der Zwanzig konnte bisher unerkannt das Weite suchen. Beschreibung des Kindes: Blonde, lange Locken, rosa Strampelchen, weißes Jäckchen und ebensolches Hemdchen. Auf dem linken Oberschenkel ein fünfpfennigstückgroßes Muttermal. Für die Ergreifung des Täters sind tausend Mark Belohnung ausgesetzt. Zweckdienliche Mitteilungen nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.«
    Das Mädchen hinter der Theke stellte die eingewickelte Büchse vor Frank Gerholdt hin. »So ein Schuft«, sagte es mit Abscheu in der Stimme. »Ein Kind stehlen! Stellen Sie sich vor, man würde Ihr Kind stehlen.«
    Gerholdt schluckte. »Ich würde den Kerl umbringen!« sagte er dumpf.
    »Er hätte es nicht anders verdient.«
    »Bestimmt nicht.« Er nahm die Büchse und die Milchflasche, bezahlte mit dem Geld, das er vorgestern so schwer in den Silos verdient hatte, und verließ schnell die Drogerie. Mit dem gestohlenen Rad fuhr er zur Laubenkolonie zurück und trat in den dumpfen Raum, als das Kind gerade erwachte und mit den Ärmchen in der Luft herumfuhr. Dabei quäkte es und sah Gerholdt – wie er glaubte – verwundert an.
    »Ich mache dir zu essen«, sagte er zärtlich. Er streichelte Rita über die Locken und spielte mit den Fingerchen, die sich um seine Hand krallten. »Gleich bekommst du Breichen …« Er gab ihr das Papier, in das die Dose eingewickelt war. Während er den Ofen anmachte und die Beschreibung durchlas … pro Mahlzeit dreihundert Gramm, spielte Rita hinter ihm mit dem Papier, ließ es rascheln, zerknautschte es und schob es hin und her. Einmal quiekte sie vor Vergnügen und versuchte, den Oberkörper aufzurichten. »Gleich, gleich«, sagte Gerholdt leise. »Nur noch abkühlen …«
    Er hielt die Flasche mit dem Brei unter den Wasserkran. Wie stand auf der Dose? Zur Feststellung der richtigen Breiwärme träufele man ein paar Tropfen auf den Handrücken. Er tat es, drückte aus dem Sauger Brei auf seine Hand und stellte fest, daß er nicht mehr zu heiß war. Dann setzte er sich auf das Bett, nahm das Kind auf seinen Schoß und gab ihm die Flasche.
    Während der kleine Mund gierig an dem Sauger zog und das Schmale Hälslein schluckte, war es Gerholdt, als öffnete sich vor ihm ein Tor und er blickte in eine Welt, die er nie gekannt hatte. Das junge, strampelnde Leben auf seinem Schoß, das glucksende Schlucken der kleinen Kehle, das stoßweise Atmen der winzigen, zarten Nase und die großen, blauen Augen, die ihn betrachteten, das alles nahm ihn so gefangen, daß er an nichts mehr dachte als an das Kind und an eine unbändige Zärtlichkeit, die in ihm emporstieg wie ein unaufhaltsames Naturereignis. Er drückte den kleinen Körper an sich, er schüttelte die Flasche, als der langsam erkaltende Brei etwas dicker wurde, er putzte den kleinen Mund ab und legte das Kind dann wieder in die Kissen, deckte es mit der gestohlenen Decke zu und saß neben dem Bett, bis Rita satt und zufrieden eingeschlafen war und mit lächelndem Gesicht tief atmete.
    Auf Zehenspitzen verließ er die Laube, schwang sich auf das Rad und fuhr wieder nach Rahlstedt hinein. Vor einer öffentlichen Fernsprechzelle hielt er an, suchte im Telefonbuch die Nummer von Buckows und drehte sie, den Hörer fest an das Ohr pressend.
    9-7-4-2-8-1.
    Es knackte, eine Stimme meldete sich. Er drückte den Zahlknopf herunter und vernahm jetzt klar, was die Stimme sagte.
    »Hier bei Buckow.«
    »Ich möchte Herrn von Buckow sprechen«, sagte Gerholdt mit sicherer Stimme.
    Der Mann am anderen Ende räusperte sich. »Ich nehme an, daß Sie der Entführer des Kindes sind. Sprechen Sie ruhig mit mir. Ich bin Kriminalkommissar Dr. Werner.«
    Frank Gerholdt lehnte sich an die Glaswand der Fernsprechzelle. Schweiß trat plötzlich auf seine Stirn. Er umklammerte den Hörer und nahm allen Mut zusammen.
    »Sie können das Kind wiederhaben«, sagte er laut. »Gesund und unbeschädigt. Für einhunderttausend Mark!«
    Er schloß die Augen und hörte kaum, was die Stimme am anderen Ende sagte.
    Die Würfel sind gefallen, dachte er. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich bin ein Gangster geworden. Ein ganz gemeiner Gangster.
    In der Villa von Buckows war nach dem Aufschrei des Kindermädchens eine Welle von
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