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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Unwesen der Kindesentführung greift in den USA immer mehr um sich. Der Senat hat deswegen beschlossen, ein Sondergesetz für Kidnapping zu erlassen, das alle mit dem Tode bestraft, die ein Kind entführen oder sich an einer Entführung beteiligen. So einfach den Gangstern durch eine Entführung das Geldverdienen gemacht wird, so hoch ist jetzt der Einsatz geworden, wenn man sie erwischt. Es geht um den Kopf! Gott sei Dank ist Deutschland von diesen Methoden verschont geblieben. Bei der Schlagkraft unserer Polizei und den engen Grenzen ist eine Kindesentführung nicht lohnend, ganz davon abgesehen, daß solche Beträge wie in den USA nicht gezahlt werden können. Es lohnt sich also nicht in Deutschland. Und darüber sind wir froh.«
    Frank Gerholdt las den Artikel noch einmal. Dann starrte er in die Nacht und hielt die Zeitung krampfhaft in seinen Händen, als habe er Angst, man könnte sie ihm entreißen.
    Ein Kind stehlen. Das Kind eines reichen, zufriedenen, satten, keine Not kennenden Mannes. Und es zurückgeben, gesund, ohne ein Haar gekrümmt zu haben, wenn er zahlte … das war doch einfach, so einfach. Alle Not hatte dann ein Ende, alles Anstehen um fünf Uhr morgens im Hafen, alle Hinternkriecherei vor den Hafenbossen, alles Katzbuckeln vor den Launen, aller Kampf um die paar Groschen gegen die anderen, die sich herandrängten und auch einmal warm essen wollten, die von einer Zigarette träumten oder von einem Brötchen mit Butter und Wurst.
    »Verrückt!« sagte Gerholdt laut. »Total verrückt. Dir ist das Bier nicht bekommen, Frank.«
    Aber er ließ die Zeitung nicht los. Er krallte die Finger in das raschelnde Papier und starrte hinaus in die Nacht.
    Eine Million Dollar! Für ein Kind, das man dann wiederbringt! In Deutschland unmöglich, da keiner soviel zahlt. Keiner? Zahlt? Nicht eine Million, nein … aber einhunderttausend Mark! Mit einhunderttausend Mark kann man ein Leben anfangen, ein ganz neues Leben. Ein Leben ohne Stempeln, ohne Seemannsasyl, wo sie sich von Dirnen unterhalten und wo die Polizei jede Nacht die Strichjungen herausholt. Ohne die Hafenbosse, die einen abtaxieren wie eine Kuh, ehe sie sagen: Fang mal an, Junge. Stunde sechzig Pfennig. Wennste durchhältst, bekommste ab der dritten Stunde achtzig Pfennig. Das würde dann alles vorbei sein, das wäre dann alles nur wie ein böser Traum, aus dem man erwacht … mit einhunderttausend Mark in der Hand. Mit einem neuen Leben. Mit einem neuen Schicksal!
    erholdt zerknüllte die Zeitung und warf sie weg. Er warf sie hinein in die Zinnien, die so stark rochen und sein ›Schlafzimmer‹ parfümierten. Dann ging er wieder hin und her … vor der Bank, über den Holstenwall, rund herum um den Zeughausmarkt … zurück zur Bank … getrieben von einer Unruhe, von einem Gedanken, einem wahnwitzigen Gefühl, etwas zu tun, was noch keiner vor ihm gewagt hatte.Er wanderte die ganze Nacht in den Anlagen herum, er fand keinen Schlaf. Der Gedanke bohrte sich in ihn hinein wie ein glühender Pfahl … er nahm so vollends Besitz von ihm, daß er nichts anderes mehr denken konnte als: Einhunderttausend Mark! Einhunderttausend Mark! Ein neues Leben! Satt sein, immer satt sein! Und ein Bett! Einen neuen Anzug. Ein Dach über dem Kopf ohne Läuse und Flöhe und den Gestank nie gelüfteter Kleider.
    Als am Morgen die Lesehalle des Hamburger Fremdenblattes geöffnet wurde, trat er an die Lesetische und blätterte in dem neuen Jahrgang die Zeitungen zurück.
    Familienanzeigen … Mai … April … März … Februar … Da! eine Anzeige. Mit einem welligen Rand eingerahmt.
    »Die Geburt ihrer Tochter Rita beehren sich anzuzeigen in großer Freude
    Werner von Buckow, Reeder,
    Hamburg, den 6. April 1932. und Frau Renate
    Blankenese, Villa Renate.«
    Werner von Buckow . Ihm gehörten die Schiffe, die er vorgestern entlud. Er hatte eine Tochter … wie alt war sie jetzt?
    Fünf Monate. Rita hieß sie. Von Buckow würde bestimmt einhunderttausend Mark für sie bezahlen.
    Er verließ die Lesehalle der Zeitung, ein bißchen schwankend, erschüttert von seinen Gedanken. Als er die Hände wieder in die Taschen vergrub, fühlte er unter seinen Fingern Papier knistern. Er zog es heraus … es war das Zeitungsblatt mit der Geburtsanzeige. Er hatte gar nicht gemerkt, daß er es herausgerissen hatte, aus dem dicken Jahrgang, mit den vielen, vielen Geburtsanzeigen. In großer Freude … ein Mädchen …
    Als er zum Hafen kam, waren die Schlepperarbeiten schon vergeben. Er
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