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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dazu trank ich Wasser. Wenn ich das konnte, war ich schon glücklich. So dreckig ging es mir …«
    Der Pfarrer sah wieder auf seine Hände.
    »Ist das ein Grund, ein schlechter Mensch zu werden?« fragte er leise.
    »Nein – aber Grund genug, davon zu träumen, wie herrlich es sein müßte, ein guter zu sein …«
    *
    Als es Nacht wurde, stand Frank Gerholdt am Freihafen und zählte sein Geld. Er brauchte dazu nicht lange. Seit fünf Tagen hatte er sich von seinem Schlepperlohn ein richtiges Mittagessen geleistet, sogar eine Flasche Bier hatte er getrunken. Nun zeigte sich die Strafe dieser Verschwendung, indem er nicht mehr Geld genug hatte, sein Bett im Seemannsasyl zu bezahlen.
    Pro Nacht siebzig Pfennig, und eine Mark Pfand für den Blechlöffel, den man bekam, um die dünne Suppe zu essen, die jeden zweiten Tag die Heilsarmee stiftete und in großen Thermoskesseln heranfuhr. Das sind eine Mark siebzig! Und er hatte sie nicht mehr.
    Die Hände in den Hosentaschen bummelte er am Hafen entlang, am Ufer der Norderelbe vorbei, den Holstenwall hinauf bis zu den Grünanlagen, die bei Planten und Blomen münden, dem herrlichen Park vor den Toren Hamburgs.
    Auf einer Bank, die in der Einbuchtung einer Hecke stand, ließ er sich nieder und starrte hinüber auf die Lichtreklamen, die vom Holstenwall und vom Zeughausmarkt die Nacht mit flimmerndem Licht erfüllten.
    Bleiben wir hier, dachte Frank Gerholdt. Die Clochards in Paris schlafen unter den Seinebrücken – warum soll ein Frank Gerholdt nicht auf einer Bank schlafen? Morgen würde er wieder Säcke schleppen oder Kisten in die Laderäume hieven. Allerdings mußte man dann früh am Hafen sein, so gegen fünf Uhr morgens, denn um sieben standen die Ladestraßen voll von Arbeitslosen, die auf einen Job warteten, auf ein paar Stunden Arbeit und ein paar Mark. Das Arbeitsamt? Wie sagte doch der Beamte, als er den Stempel aufdrückte. »Zwei Millionen liegen auf der Straße, und Sie fragen nach Arbeit? Wohl 'n bißchen trübe im Gehirn, was? Such dir was, Junge. Wir haben hier Familienväter mit sechs Kindern. Die kommen zuerst dran, wenn's wirklich Arbeit gibt!«
    So war das. Wenn am Morgen die Eigner in den Hafen kamen oder die Bosse der Transportgesellschaften, dann wurden die wartenden Arbeitslosen zu Bestien, die für einen Job am Kran oder als Kohlenschipper ihren besten Freund erwürgten. Um fünf Uhr aber, wenn noch alles schlief und nur die Nachtschiffe munter waren und beladen werden mußten, um am Morgen auszulaufen, gab es eine Chance, für ein paar Stunden Arbeit zu erhalten. Hatte man großes Glück, so zog die Kolonne weiter zum nächsten Schiff oder zu einer Ladehalle. Dann konnte man zwei oder drei oder gar vier Tage die Hand aufhalten und Geld zwischen den Fingern fühlen. Geld! Wie sieht die Welt gleich anders aus, wenn man gegessen hat, wenn man satt ist, wenn der volle Magen sogar anregt, sich nach Mädchen umzusehen und zu sagen: Süßer Käfer! Oder: Na, Mädchen, hilfste mit, 'nem Seemann das Herz erleichtern?
    Frank Gerholdt seufzte. Er hob die Beine auf die Bank, ließ sich nach hinten hinübersinken und lag auf dem harten Holz. Er starrte in den fahlen Himmel. Von irgendwoher, vielleicht von einem nahen Beet, wehte ein süßer Geruch. Zinnien, dachte Gerholdt. Was will man mehr? Mein Schlafzimmer riecht nach Parfüm wie das einer verwöhnten Frau.
    Er wandte den Kopf zur Seite und sah unter der Bank eine zusammengefaltete Zeitung liegen. ›Hamburger Fremdenblatt‹ las er. 13. September 1932. Von gestern also. Er schob die Hand hervor, griff nach der Zeitung, drehte sich wieder auf den Rücken und entfaltete das Blatt.
    Unruhen in Berlin. SA marschiert in Nürnberg. Hitler sagt: Wenn wir an die Macht kommen, lösen wir die Arbeitslosenfrage innerhalb sechs Monaten! Goebbels im Sportpalast: Wir versprechen dem deutschen Volke Arbeit und Brot! Keiner soll hungern und frieren!
    Gerholdt schlug die Zeitung um. Zweite Seite. Empfang bei Reichskanzler v. Papen. – Ernst Thälmann in Kiel: Der Kommunismus ist die einzige Sozialform des Arbeiters! Nieder mit den Unternehmern! Wer arbeitet, hat ein Recht am Gewinn!
    Dritte Seite. Kidnapper in Amerika! Eine Million Dollar für den entführten Billy Wilder!
    Frank Gerholdt setzte sich. Eine Million! Für ein Kind. Ein entführtes Kind. Er las den Artikel mit großem Interesse … um besser Licht zu bekommen, drehte er sich so, daß der Schein der Lichtreklame auf dem weißen Papier reflektierte.
    »Das
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