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Scherbenhaufen

Scherbenhaufen

Titel: Scherbenhaufen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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langem Haar umflort. Über dem Mund, dessen Lippen sich beim Reden nur auf der einen Seite vollständig voneinander lösen, wuchert ein buschiger Schnauz. Das Kinn bedeckt ein ungepflegter Bocksbart, der den optischen Ausgleich zu zwei überaus krautigen Augenbrauen schafft.
    Mit einem servilen Bückling und einer einladenden Geste weist der Alte nach hinten. »Bitte, meine Herren, begeben wir uns ins Atelier.« Vielsagend ergänzt er: »Ich will ihnen dort etwas Spezielles zeigen.«
     
     

3
    Richter Adam Füssli füßelte jede freie Minute vom Gerichtsgebäude in das historische Museum hinüber.
    Er profitierte von der räumlichen Nähe der beiden Lokalitäten auf dem Schlossberg. Demnächst sollte das Gericht allerdings verlegt werden. Weder der aufmerksame Gerichtsschreiber im Amt noch die aufgeweckte Frau an der Museumskasse konnten mit Gewissheit sagen, wem oder was die auffallend häufigen Besuche des Juristen galten. Was suchte der Vielbeschäftigte in seinen knappen Pausen? Was trieb der Richter während den Verhandlungsunterbrüchen? Interessierte er sich für die Präsentation der Trophäen aus der Burgunderbeute, für die klapprigen Rüstungen oder die bunten Töpferwaren?
    Gerichtsschreiber Walter Kern und Kassiererin Martha Rechberger hatten sich ihre Meinungen zu den richterlichen Besuchen im Schloss längst gemacht. Adam Füsslis Unruhe fußte auf einer simplen Weibergeschichte.
    Während Frau Rechberger die Auffassung vertrat, der prominente Witwer habe seiner verstorbenen Gattin etwas gar kurze Zeit nachgetrauert, verstand Herr Kern das Verhalten seines Chefs als Anzeichen dafür, dass mit der Partnersuche ein herber Schicksalsschlag überwunden war.
    »Ein Topf sucht seinen Deckel«, waren sich die schlauen Schlossberger schlüssig. Nur hinsichtlich der Auserwählten rateburgerten die Angestellten drauflos.
    Galt Adam Füsslis Aufmerksamkeit einer der treuen Museumsbesucherinnen? Gelegentlich frönten aparte Damen mittleren Alters der musealen Kontemplation. Ab und zu schwebten komplizierte Musen ungeküsst durch mittelalterliches Gemäuer.
    Oder handelte es sich bei der heimlichen Flamme des unheimlichen Richters um die anmächelige Kunsthistorikerin, die der Direktorin seit Kurzem als Praktikantin zur Seite stand?
    War es gar Brigitte Santschi persönlich, die der Gerichtspräsident ins Auge gefasst hatte? Die große, schlanke Museumsdirektorin hätte von der Position und der Postur gut gepasst.
    Kam allenfalls sogar eine der portugiesischen Putzfrauen in die Kränze? Katholisches Reinigungspersonal gehörte bisher zwar nicht ins Beuteschema des standesbewussten Schwerenöters. Andererseits war nicht auszuschließen, dass der alternde Weiberheld mit zunehmender Erfahrung das Spektrum weitete.
    So oder so mussten vom neugierigen Fußvolk Ungewissheiten aller Art und nichts Geringeres als die platte Neugierde ertragen werden. Bis Adam Füssli eines Tages in dringlicher Angelegenheit aufs Schloss gerufen wurde. Die Direktorin suchte juristischen Rat.
    Brigitte Santschi informierte über einen Schadensfall, der kürzlich in der Sammlung vorgefallen war. Unter ungeklärten Umständen war ein Keramikgefäß von besonderer Seltenheit und zweifelhafter Berühmtheit in die Brüche gegangen. Die Direktorin beschuldigte einen jungen Mann aus der Region der Sachbeschädigung und forderte Schadenersatz. Der Jüngling hatte sich zum fraglichen Zeitpunkt erwiesenermaßen in der Majolikasammlung aufgehalten. Dennoch wies er jegliche Schuld weit von sich. In der Folge drohten beide Parteien mit juristischen Schritten.
    In dieser verfahrenen Situation konsultierte Brigitte Santschi, wie erwähnt, den Gerichtspräsidenten. Sie hoffte von ihm zu erfahren, wie die Bruchstücke der gegensätzlichen Darstellungen allenfalls gütlich zu einem Ganzen zu kitten wären.
    Adam Füssli erteilte die lapidare Empfehlung, den zerdepperten Pot der Haftpflichtversicherung des Verursachers zu melden oder der Bruchversicherung des Museums in Rechnung zu stellen. Angesichts der zu erwartenden Verfahrenskosten und der geschätzten Schadenssumme riet er zu einer außergerichtliche Lösung.
    »Es sei denn«, beschied er Frau Santschi, »Sie planen eine Inszenierung des ›Zerbrochenen Krugs‹.« Womit der Jurist seine Ausführungen schloss und das Schloss mit spöttischem Grinsen verließ.
    Diese Auskunft vermochte Brigitte Santschi nicht zu überzeugen. Der Auftritt des Richters noch viel weniger.
    Auch die Spekulationen an der
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