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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre
Autoren: Lois McMaster Bujold
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war.
    »Eine Art von heiligem Wasser, nicht wahr?«, forschte er.
    »Fast. Es ist ein ziemlich häufiger Typ. Man nennt es Muttertränen-Talisman. Mal sehen, ob ich es entziffern kann – er hat es schon eine Weile getragen, scheint es. Der Aufschrift nach – ich glaube, das hier heißt ›Fähnrich‹ und das ist das Datum – muss es ihm aus Anlass seiner Ernennung zum Offizier geschenkt worden sein.«
    »Das sind doch nicht wirklich Tränen seiner Mutter, oder?«
    »O doch. Deshalb hat man ja geglaubt, dass es als Schutz funktioniert.«
    »Scheint nicht sehr wirkungsvoll zu sein.«
    »Nein, nun ja … Nein.«
    Ferrell schnaubte ironisch. »Ich hasse diese Kerle – aber ich glaube, seine Mutter tut mir irgendwie leid.«
    Boni nahm die Kette und die Anhänger wieder an sich, hielt die in Plastik gefasste Locke ans Licht und las die Aufschrift auf dem Aufhänger. »Nein, überhaupt nicht. Sie ist eine glückliche Frau.«
    »Wieso?«
    »Das ist ihre Todeslocke. Hier steht, dass sie vor drei Jahren gestorben ist.«
    »Hält man die Locke auch für glückbringend?«
    »Nein, nicht unbedingt. Nur ein Erinnerungsstück, soweit ich weiß. Ein schönes, wirklich. Der hässlichste Talisman, auf den ich je gestoßen bin, und auch der ungewöhnlichste, war ein kleiner Lederbeutel, den ein Kerl um den Hals hängen hatte. Er war mit Erde und Blättern gefüllt, und mit etwas, das ich zuerst für das Skelett eines kleinen, froschartigen Tieres hielt, etwa zehn Zentimeter lang. Aber als ich es genauer anschaute, stellte sich heraus, dass es das Skelett eines menschlichen Fötus war. Sehr eigenartig. Ich nehme an, das war eine Art Schwarzer Magie. Es erschien seltsam, so etwas an einem Pionieroffizier zu finden.«
    »Scheint bei keinem von ihnen zu funktionieren, nicht wahr?«
    Sie lächelte bitter. »Nun, wenn es welche gibt, die funktionieren, so würde ich sie wohl kaum zu sehen bekommen, oder?«
    Sie führte einen weiteren Schritt der Behandlung durch, indem sie die Kleider des Barrayaraners reinigte und ihn sorgfältig wieder anzog, bevor sie ihn in den Leichensack schob und wieder in die Kälte zurückbrachte.
    »Die Barrayaraner sind alle so verrückt auf die Armee«, erklärte sie. »Ich stecke sie immer gern wieder in ihre Uniformen. Sie bedeuten ihnen so viel, ich bin sicher, sie fühlen sich wohler in den Uniformen.«
    Ferrell runzelte irritiert die Stirn. »Ich meine immer noch, er sollte mit dem übrigen Müll verklappt werden.«
    »Keineswegs«, sagte die Medizintechnikerin. »Denken Sie an all die Mühen von anderen Leuten, die er repräsentiert. Neun Monate Schwangerschaft, Geburt, zwei Jahre Windeln wechseln, und das ist erst der Anfang. Zehntausende von Mahlzeiten, Tausende von Gutenachtgeschichten, Jahre des Schulbesuchs. Dutzende von Lehrern. Und auch die ganze militärische Ausbildung. Eine Menge Leute haben an ihm zusammengearbeitet.«
    Sie glättete eine Strähne des Haars der Leiche. »Dieser Kopf enthielt einst das ganze Universum. Für sein Alter hatte er schon einen hohen Rang«, fügte sie hinzu, nach einem Blick auf ihren Monitor. »Zweiunddreißig. Oberstleutnant Aristede Vorkalloner. Das klingt irgendwie ziemlich typisch. Sehr barrayaranisch, dieser Name. Noch dazu ein Vor, einer von den Burschen aus der Kriegerkaste.«
    »Irrsinnige aus der Mörderkaste. Oder schlimmer«, sagte Ferrell automatisch. Aber seine Heftigkeit hatte irgendwie etwas von ihrem Schwung verloren.
    Boni zuckte die Achseln. »Na ja, jetzt gehört er zur großen Demokratie. Und er hatte ordentliche Taschen.«
    Drei volle Tage gingen vorbei ohne weiteren Alarm, abgesehen von vereinzeltem mechanischem Müll. Ferrell begann zu hoffen, dass der Barrayaraner ihr letzter Fund war. Sie näherten sich dem Ende ihres Suchmusters. Außerdem, so dachte er ärgerlich, untergrub dieser Dienst die Wirksamkeit seines Schlafzyklus. Doch die Medizintechnikerin hatte eine Bitte.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Falco«, sagte sie, »dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn wir am Ende des Musters noch ein paar extra Runden machen könnten. Der ursprüngliche Befehl beruht auf dieser geschätzten mittleren Fluggeschwindigkeit, wissen Sie, und wenn jemand zufällig ein bisschen extra Beschleunigung bekam, als das Schiff zerbrach, dann könnte er jetzt schon ein gutes Stück drüber hinaus sein.«
    Ferrell war keineswegs begeistert, aber die Aussicht, einen zusätzlichen Tag als Pilot zu arbeiten, hatte auch etwas Verlockendes, und er stimmte
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