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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre
Autoren: Lois McMaster Bujold
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zuerst beabsichtigt hatte, es in einen Mannschaftstransporter für mittlere Ränge umzuwandeln – die neuen Schiffe waren ein Privileg höchster Offiziere, die es eilig hatten –, aber wie Ferrell selbst war das Schiff für eine Teilnahme am Krieg zu spät fertig geworden. So waren sie beide, er und sein erstes Kommando, zu dem langweiligen Dienst abgeordnet worden, den er insgeheim mit der Müllabfuhr oder Schlimmerem gleichsetzte.
    Er blickte einen letzten Moment auf das Relikt des Kampfes auf seinem vorderen Schirm, wo die Trägerstreben des Rumpfes emporragten wie Knochen, die durch zerfetzte Haut stachen, und er schüttelte den Kopf angesichts dieser ganzen Verschwendung. Dann zog er mit einem sanften Seufzer des Vergnügens an seinem Steuerhelm, bis die Kontakte mit den silbrigen Kreisen auf seinen Schläfen und seiner Stirnmitte hergestellt waren, schloss die Augen und glitt in die Kontrolle seines eigenen Schiffes.
    Das All schien sich überall um ihn auszudehnen und ihn zu tragen wie ein Meer. Er war das Schiff, er war ein Fisch, er war ein Meermann: ohne Atmung, grenzenlos und ohne Schmerz. Er zündete seine Triebwerke, als sprängen Flammen aus seinen Fingerspitzen, und begann die langsame, schlingernde Spirale des Suchmusters.
    »Medtech Boni?« Er rief sie über die Bordkommunikationsanlage in ihrer Kabine an. »Ich glaube, ich habe hier etwas für Sie.«
    Sie rieb sich noch den Schlaf aus den Augen, als ihr Gesicht auf dem Schirm erschien. »Schon? Wie spät … oh. Ich muss müder gewesen sein, als ich dachte. Ich bin gleich bei Ihnen oben, Pilot.«
    Ferrell streckte sich und begann automatisch eine Serie isometrischer Übungen auf seinem Sitz. Es war eine lange und ereignislose Wache gewesen. Eigentlich war er hungrig, aber was er jetzt durch die Sichtschirme betrachtete, dämpfte seinen Appetit.
    Boni erschien prompt und glitt auf den Sitz neben ihm. »Oh, ganz recht, Pilot.« Sie klappte die Steuerung für den äußeren Traktorstrahl aus und ließ ihre Finger spielen, bevor sie den Steuerhebel mit einem sanften Griff umschloss.
    »Ja, über den da gab es nicht viel Zweifel«, stimmte er ihr zu, lehnte sich zurück und beobachtete sie bei der Arbeit. »Warum so sanft mit den Traktoren?«, fragte er neugierig, als er bemerkte, welch niedrige Energiestufe sie verwendete.
    »Nun, sie sind durch und durch gefroren, wissen Sie«, erwiderte sie, ohne ihren Blick von ihren Anzeigen zu nehmen. »Ganz spröde. Wenn man mit ihnen Rakete spielt und sie herumstößt, können sie zerbrechen. Stoppen wir zuerst diesen üblen Drall«, fügte sie halb zu sich selbst hinzu. »Eine langsame Drehung ist in Ordnung. Ist schicklich. Aber dieses schnelle Trudeln, auf das man manchmal stößt – es muss sehr ungemütlich für sie sein, meinen Sie nicht?«
    Seine Aufmerksamkeit wurde von dem Ding auf dem Schirm abgelenkt, und er starrte sie an. »Die sind tot, Lady!«
    Sie lächelte bedächtig, als die durch den Druckverlust aufgeblähte Leiche, deren Gliedmaßen so verdreht waren, als wären sie im stroboskopischen Aufblitzen einer Konvulsion erstarrt, sanft in Richtung des Laderaums gezogen wurde. »Nun, das ist doch nicht deren Schuld, oder? – Es ist einer von unseren Leuten, ich seh’s an der Uniform.«
    »Pfff!«, wiederholte er sich selbst, dann gab er ein verlegenes Lachen von sich. »Sie tun so, als ob Ihnen das Spaß machte.«
    »Spaß? – Nein … Aber ich bin jetzt schon neun Jahre in der Abteilung Vermisstensuche und -identifikation. Mir macht das nichts aus. Und natürlich ist die Arbeit im Vakuum immer etwas angenehmer als die Arbeit auf einem Planeten.«
    »Angenehmer? Mit dieser gottverdammten Dekompression?«
    »Ja, man muss dabei den Temperatureffekt in Betracht ziehen. Keine Verwesung.«
    Er holte tief Luft und atmete behutsam aus. »Ich verstehe. Ich nehme an, dass man da – ziemlich abgestumpft wird mit der Zeit. Stimmt es, dass ihr Medtechs sie als Leichenzapfen bezeichnet?«
    »Manche tun das«, gab sie zu. »Ich nicht.«
    Sie manövrierte das verdrehte Ding sorgfältig durch die Türen des Laderaums und ließ sie schließen. »Die Temperatur auf langsames Auftauen eingestellt, und in ein paar Stunden ist er zur Behandlung bereit«, murmelte sie.
    »Wie nennen Sie sie?«, fragte er, als sie aufstand.
    »Menschen«
    Sie belohnte seine Verwirrung mit einem feinen Lächeln, als würde sie vor ihm salutieren, und zog sich in die provisorische Leichenhalle zurück, die neben dem Laderaum
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