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Scherben der Ehre

Scherben der Ehre

Titel: Scherben der Ehre
Autoren: Lois McMaster Bujold
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im All, ein schwarzer Koloss in der Finsternis. Es drehte sich noch, langsam, kaum wahrnehmbar; eine Kante verfinsterte, verschluckte den leuchtenden Punkt eines Sterns. Die Lichter der Bergungsmannschaft blinkten über dem Skelett. Ameisen, die eine tote Motte zerlegen, dachte Ferrell. Aasfresser …
    Er seufzte bedrückt vor seinem vorderen Beobachtungsschirm und stellte sich das Schiff vor, wie es noch vor wenigen Wochen ausgesehen hatte.
    Vor seinem geistigen Auge verschwand die Zerstörung – da war ein Kreuzer, belebt mit Mustern aus grell bunten Lichtern, die ihn immer an eine Party denken ließen, die man über nächtliche Gewässer hin erblickt.
    Wie ein Spiegel reagierte ein solches Schiff auf den Geist unter dem Steuerhelm seines Piloten, wo Mensch und Maschine die Schnittstelle überschritten und eins wurden. Schnell, glänzend, funktional … Niemals mehr. Er warf einen Blick zu seiner Rechten und räusperte sich befangen.
    »Nun, Medtech«, sagte er zu der Frau, die neben seinem Platz stand und auf den Schirm so lang und so schweigsam gestarrt hatte wie er. »Hier ist unser Ausgangspunkt. Da könnte ich gleich weitermachen und die Musterabtastung beginnen, nehme ich an.«
    »Ja, bitte tun Sie das, Pilot.« Sie hatte eine raue Altstimme, die zu ihrem Alter passte, das Ferrell auf etwa fünfundvierzig schätzte. Die Ansammlung von dünnen silbernen Winkeln für fünfjährigen Dienst an ihrem linken Ärmel glitzerte eindrucksvoll auf der dunkelroten Uniform des escobaranischen Militärsanitätsdienstes. Dunkles Haar mit grauen Fäden, kurz geschoren um der leichteren Pflege, nicht des Stiles willen, eine matronenhafte Schwere um die Hüften. Eine Veteranin, schien es. Auf Ferrells Ärmel war noch nicht einmal der Streifen für das vollendete erste Dienstjahr zu sehen, seine Hüften und sein übriger Körper bewahrten noch eine unausgefüllte jugendliche Zähigkeit.
    Aber sie war nur eine Technikerin, erinnerte er sich, nicht einmal eine Ärztin. Er war ein richtiger Fliegerleutnant. Seine neurologischen Implantate und sein Biofeedback-Training waren ganz komplett. Er war geprüft, lizensiert und graduiert – genau drei frustrierende Tage zu spät, um noch an dem teilnehmen zu können, was jetzt der 120-Tage-Krieg genannt wurde, obwohl es tatsächlich nur 118 Tage und der Bruchteil einer Stunde gewesen waren zwischen dem Augenblick, als die Angriffsspitze der barrayaranischen Invasionsflotte in den escobaranischen Lokalraum eindrang, und jenem Zeitpunkt, als die letzten Überlebenden vor dem Gegenangriff flohen und sich durch den heimwärts führenden Wurmlochausgang drängten wie Kaninchen, die in ihren Bau flüchteten.
    »Wollen Sie zusehen?«, fragte er sie.
    Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Dieses innere Gebiet wurde in den letzten drei Wochen ziemlich gut durchgearbeitet. Ich erwarte nicht, bei den ersten vier Runden irgend etwas zu finden, obwohl es natürlich gut ist, wenn wir gründlich sind. Ich muss noch ein paar Dinge in meinem Arbeitsbereich erledigen und werde mir dann wohl ein Nickerchen genehmigen. Meine Abteilung war in den letzten paar Monaten schrecklich beschäftigt«, fügte sie entschuldigend hinzu. »Zu wenig Personal, wissen Sie. Bitte rufen Sie mich aber, wenn Sie irgend etwas entdecken – ich ziehe es vor, den Traktor selbst zu bedienen, wann immer das möglich ist.«
    »Ich habe nichts dagegen.« Er schwang sich in seinem Stuhl herum zu seiner Komkonsole. »Bei welcher Mindestmasse wollen Sie angepiepst werde? Sagen wir mal etwa vierzig Kilo?«
    »Ein Kilo ist mein bevorzugter Standard.«
    »Ein Kilo!« Er starrte sie an. »Soll das ein Scherz sein?«
    »Ein Scherz?« Sie erwiderte seinen Blick, dann schien ihr eine Erleuchtung zu kommen. »Ach, ich verstehe. Sie dachten im Sinn von ganzen … – ich kann positive Identifikationen auch mit kleinen Stücken durchführen, wissen Sie. Es würde mir sogar nichts ausmachen, noch kleinere Stückchen aufzusammeln, aber wenn man weit unter ein Kilo geht, dann verwendet man zuviel Zeit auf falschen Alarm aufgrund von Mikrometeoren und anderem Müll. Ein Kilo scheint mir der beste praktische Kompromiss zu sein.«
    »Pfff.« Aber er stellte seine Sonden auf die Mindestmasse ein Kilo ein und führte die Programmierung der Suchabtastung zu Ende.
    Sie nickte ihm kurz zu und zog sich aus dem engen Navigations- und Steuerraum zurück. Das veraltete Kurierschiff war aus dem Schrottorbit geholt und hastig überholt worden, wobei man
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