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Schattennetz

Schattennetz

Titel: Schattennetz
Autoren: M Bomm
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gehen.«
    Stumper überlegte für einen kurzen Moment, weshalb die Mesnerin überhaupt heraufgekommen war. Wenn er hier übte, tat sie das nie.
    »Ich muss noch kurz auf den Dachboden«, erklärte sie, als habe sie eine entsprechende Frage erwartet, und wandte sich dem dunklen Bereich der Empore zu, wo eine Tür in den engen Aufstieg einer steinernen Wendeltreppe führte – hinauf zum Dachboden des Kirchenschiffs und zum Turm.
    Die Männer erwiderten nichts.
    Stumper hatte gehofft, dass Faller jetzt gehen würde. Doch bevor sie beide etwas äußern konnten, drang aus dem Zwielicht der Empore die Stimme der Mesnerin zu ihnen herüber: »Wieso ist denn die Tür überhaupt offen?«
    »Die Tür?«, echote Faller einigermaßen verunsichert.
    Stumper schwieg.
    »Ja. Da war doch heut noch keiner oben – oder sollte ich mich täuschen?«
    Faller drehte sich zu ihr um, obwohl nur dunkle Umrisse zu erkennen waren. »Hat sicher wieder ein Schlamper offen gelassen. Wir werden das besprechen.«
    Die Mesnerin erwiderte nichts. Ihr Schatten verschwand im Dunkel des Treppenaufgangs, wo ihre schlurfenden Schritte noch über einige Stufen hinweg zu hören waren.
    »Der entgeht nichts«, meinte Faller, »ist auch gut so.«
    »Du entschuldigst jetzt, aber ich hab um vier schon meinen nächsten Termin.«
    »Nur eins noch: Es darf kein Aufsehen geben. Unter keinen Umständen.«
    »Du wirst doch nicht im Ernst glauben, dass ich rumrenne und jedem erzähle, was hier läuft?«
    »Tilmann, ich sag dir, wenn du wüsstest, was da in Berlin gelaufen ist, würdest du auch mit dem Schlimmsten rechnen.«
    »Wie? Du hast dich in Berlin umgehört?«, Stumpers Desinteresse war mit einem Schlag verflogen.
    »Ich hab ein bisschen rumtelefoniert, ja. Da gibt es ein paar Leute, die sehr genau Bescheid wissen. Sehr genau, sag ich dir.«
    Der Kirchenmusikdirektor holte tief Luft. Zwar hätte er gerne gewusst, welche Details Faller in Erfahrung gebracht hatte, doch jetzt störte dies seine Kreise. Er spürte innere Unruhe, die ihn jedes Mal befiel, wenn er sich fremdbestimmt fühlte, wenn andere seinen Terminplan durchkreuzten.
    »Die Frage ist doch nur, was uns das bringt«, wandte er ein, ohne zu ahnen, dass diese Feststellung sein Gegenüber erst recht zu näheren Erläuterungen provozierte.
    »Was das bringt? Klarheit bringt es«, nahm Faller die Frage Stumpers auf und gab gleich selbst die Antwort: »Man muss immer beide Seiten hören. Jedenfalls ist mir jetzt klar geworden, was da gelaufen ist. Und ich sag dir …« Er stellte sich vor das Organistenpult. »Ich sag dir, Tilmann, die Sache ist explosiv. Hochexplosiv.«
    Der Angesprochene ließ sich von dieser Bemerkung nicht sonderlich beeindrucken, sondern starrte auf sein Notenblatt, worauf Faller noch theatralischer wurde: »Hochexplosiv, mein lieber Tilmann. Und auch du steckst mittendrin. Vergiss das nicht.«
     
    Draußen auf dem Kirchplatz, wo seit über 100 Jahren der in Bronze gegossene Kaiser Wilhelm I. hoch zu Ross auf einem Sockel an vergangene Zeiten erinnerte, knallte die Julisonne gnadenlos von einem wolkenlosen Himmel. An der bewaldeten Hangkante der Schwäbischen Alb erhob sich der mittelalterliche Ödenturm, Wahrzeichen jener Kleinstadt, die sich einst damit rühmen konnte, die erste Gebirgsüberquerung einer Eisenbahn aufzuweisen. Heute war die Geislinger Steige nichts weiter als ein ungeliebtes Hindernis für die ICE-Züge, die diesen Abschnitt der Strecke Stuttgart-Ulm nur mit 70 km/h passieren durften. Und schweren Güterzügen musste zum Erklimmen der Alb eine Schublok angekuppelt werden. Geislingen selbst war in den vergangenen Jahren durch den Niedergang einiger wichtiger Betriebe wirtschaftlich stark gebeutelt worden. Und auch die Entwicklung des größten Arbeitgebers, der weltweit bekannten Württembergischen Metallwarenfabrik (WMF), bereitete immer wieder Sorge, insbesondere jedoch die unklaren Ziele, die ein neuer Schweizer Mehrheitsaktionär mit seinem übergroßen Einstieg in das Unternehmen verfolgte. Meldungen darüber hatten in diesen Julitagen für genügend Gesprächsstoff gesorgt und all jenen, die um ihren Arbeitsplatz bangten, die Stimmung für das bevorstehende Stadtfest vermiest. ›Hock‹ nennen die Einheimischen das zweitägige Straßenfest, das alljährlich eine Woche vor Beginn der großen baden-württembergischen Schulferien gefeiert wird.
    Die Vorbereitungen hierfür liefen an diesem Donnerstagnachmittag. Auf dem Kirchplatz, der in die Fußgängerzone
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