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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz
Autoren: David Farland
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plötzlich den Drang, einfach davonzureiten.
    Er bohrte seine Fersen in die Flanken des Pferdes, und schon raste sein geschecktes Jagdpferd unter den schattigen Bäumen längs der Straße dahin. Binnesmans Reittier hatte keine Mühe, neben ihm Schritt zu halten, während der Days auf seinem weißen Maultier sich hinter ihnen vorwärts kämpfte.
    Schließlich erreichten sie eine weitgeschwungene Kurve auf dem Gipfel eines Hügels, einen Aussichtspunkt, von dem aus Gaborn Burg Sylvarresta sehen konnte.
    Gaborn zügelte sein Pferd, der Zauberer tat das gleiche, und beide schauten überrascht drein.
    Burg Sylvarresta lag auf einer kleinen Anhöhe in einer Biegung des Flusses Wye, ihre hohen Mauern und Türme ragten auf wie Zinnen. An den Hügel schmiegte sich zu allen Seiten eine befestigte Stadt. Jenseits der Stadtmauern befand sich nur freies Land – Felder mit einigen Heuschobern, Obstgärten, Bauernkaten und Scheunen.
    In der letzten Woche jedoch, während sich die Kunde vom Aufstieg eines Erdkönigs verbreitete, hatten sich Lords und Bauern aus ganz Heredon – und selbst aus Königreichen jenseits von Heredon – hier versammelt. Gaborn beschlich eine Vorahnung dessen, was geschehen würde. Die Felder um Burg Sylvarresta waren von Raj Ahten verbrannt worden, und bereits jetzt waren so viele Bauern zusammengekommen, daß das Gelände rings um die große, befestigte Stadt Sylvarresta mit Großzelten übersät war. Nicht alle dieser Großzelte ge-hörten Bauern. Es gab viele, die den Lords und Rittern aus der Gegend um Heredon gehörten – ganze Armeen, die sich in Marsch gesetzt hatten, als sie von der Invasion erfuhren, die jedoch zu spät eingetroffen waren, um noch Hilfe leisten zu können. Banner aus Orwynne, Nord-Crowthen und Fleeds sowie von verschiedenen Kaufmannsprinzen aus Lysle mischten sich unter die Heerscharen, und seitab auf einem Hügel lagerten Tausende von Kaufleuten aus Indhopal, die – nachdem König Sylvarresta sie vertrieben hatte – zurückgeeilt waren, um dieses neue Wunder, den Erdkönig, in
    Augenschein zu nehmen.
    Die Felder rings um Burg Sylvarresta waren dunkel, aber nicht mehr vom schwarzverbrannten Gras. Sie waren dunkel von den dichtgedrängten Leibern Hunderttausender Menschen und Tiere.
    »Bei den Mächten«, fluchte Gaborn. »Ihre Zahl muß sich während der letzten drei Tage vervierfacht haben. Es wird mich mehr als eine halbe Woche kosten, sie alle zu Erwählen.«
    Aus der Ferne hörte er Musik, die von den rauchenden Kochfeuern herüberwehte. Der Knall einer Turnierlanze hallte durch die Landschaft, augenblicklich gefolgt von Jubelrufen.
    Binnesman saß auf und blickte auf den Days hinab, der angeritten kam. Alle drei Reittiere atmeten schwer nach ihrem kurzen Sprint.
    Doch irgend etwas machte Gaborn stutzig. Im Himmel über dem Tal flog ein Starenschwarm, Tausende stark, einer lebenden Wolke gleich. Sie schwenkten mal hierhin, mal dorthin, kehrten um und stiegen wieder auf. Es war, als hätten sie die Orientierung verloren, als suchten sie nach einem Landeplatz, seien aber nicht imstande, eine sichere Stelle zu finden. Im Herbst flogen des öfteren Stare auf diese Weise umher, diese Vögel dagegen wirkten außergewöhnlich gehetzt.
    In der Ferne hörte Gaborn das Geschrei von Gänsen. Er blickte den Wye entlang, der sich wie ein Silberfaden durch die grünen Felder wand. Einhundert Meter oberhalb des Flusses, Meilen entfernt, flogen die Gänse in Keilformation an dessen Lauf entlang. Ihre Stimmen klangen angestrengt und derb.
    Binnesman richtete sich neben Gaborn auf und wandte sich ihm zu. »Ihr hört es auch, nicht wahr? Ihr spürt es in Euern Knochen.«
    »Was?« fragte Gaborn.
    Der Days räusperte sich und schien etwas fragen zu wollen, sagte aber nichts. Der Historiker sprach selten. Mit jedem Wort riskierte er, sich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen, und das war ihm von den Zeitlords verboten, denen die Days dienten. Dennoch war er sichtlich neugierig.
    »Die Erde. Die Erde spricht zu uns«, erklärte Binnesman.
    »Sie spricht zu Euch und zu mir.«
    »Was sagt sie?«
    »Das weiß ich nicht, noch nicht«, antwortete Binnesman wahrheitsgemäß. Der Zauberer kratzte sich am Bart und runzelte schließlich die Stirn. »Aber für gewöhnlich spricht sie auf diese Weise zu mir: durch das besorgte Aufschrecken von Hasen und Mäusen, durch die unstete Flugbahn eines Vogelschwarms, durch den Schrei der Gänse. Und jetzt flüstert sie sogar dem Erdkönig etwas zu.
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