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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz
Autoren: David Farland
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Binnesmans Haar braun gewesen und sein Gewand grün wie ein Blatt im Sommer. Danach hatte es die Farbe gewechselt, und Gaborn erschien es, als sei der gute Mann während der letzten Tage um Jahrzehnte gealtert. Und der Wylde, den er gerufen hatte, war verschwunden.
    »Ja, die Hasen sind scheu«, erwiderte Gaborn argwöhnisch.
    Als Erdwächter war es Binnesmans Streben, der Erde zu dienen, und er behauptete, Mäuse und Schlangen lägen ihm ebenso am Herzen wie die Menschen. Gaborn fragte sich, ob der Zauberer die Hasen mit einem Bann oder vielleicht auch nur mit etwas so Simplen wie einer Handbewegung verscheucht hatte. »Ich würde sagen, mehr als nur ein bißchen scheu.« Gaborn schwang sich in den Sattel, ließ den Bogen jedoch gespannt und den Pfeil eingelegt. Sie befanden sich nahe der Stadt, trotzdem hielt er es nach wie vor für möglich, daß ihnen in der Nähe der Straße ein Hirsch begegnete, ein gewaltiger alter Großvater mit einem Geweih so mächtig wie seine ausgebreiteten Arme, der aus den Bergen herabgestiegen war, um vor seinem Tod noch einen letzten süßen Apfel zu verspeisen.
    Gaborn sah zu Binnesman hinüber. Der hatte noch immer dieses heimlichtuerische Grinsen im Gesicht, Gaborn konnte jedoch nicht genau erkennen, ob es sich um ein verschlagenes Feixen oder ein bekümmertes Lächeln handelte.
    »Seid Ihr froh, daß mir die Hasen durch die Lappen
    gegangen sind?« versuchte Gaborn ihn zu locken.
    »Ihr wart mit ihnen nicht zufrieden gewesen, mein Lord«, gab Binnesman zurück. »Mein Vater war Gastwirt. Er meinte immer: ›Wer in seinem Innersten unentschlossen ist, ist nie zufrieden.‹«
    »Und das bedeutet?«
    »Entscheidet Euch, was Ihr jagen wollt, mein Lord«, antwortete Binnesman. »Wenn Ihr auf Greifer Jagd macht, ist es albern, Hasen hinterherzulaufen. Das würdet Ihr nicht mal Euren Hunden erlauben. Dann solltet Ihr es auch nicht tun.«
    »Aha«, machte Gaborn und fragte sich, ob sich hinter den Worten des Zauberers eine tiefere Einsicht verbarg.
    »Abgesehen davon stellten die Greifer harte Widersacher dar, und damit hatte keiner von uns gerechnet.«
    Binnesman hatte recht, wie Gaborn schmerzlich eingestehen mußte. Trotz der vereinten Kräfte von Gaborn und Binnesman hatten im Kampf gegen die Greifer achtundvierzig kräftige Ritter das Leben verloren. Von Gaborn, Binnesman und Sir Borenson abgesehen, hatten nur neun weitere lebend aus den Ruinen entfliehen können. Es war ein erbitterter Kampf gewesen. Die neun befanden sich jetzt hinten bei Borenson und halfen, den Kopf des Greifers in die Stadt zu schleppen.
    Sie hatten sich entschlossen, bei ihrer Trophäe zu bleiben.
    Gaborn wechselte das Thema. »Ich wußte gar nicht, daß Zauberer Väter haben«, stichelte er. »Erzählt mir mehr von Eurem.«
    »Das ist lange her«, antwortete Binnesman. »Ich erinnere mich nicht sehr gut an ihn. Ich glaube, im Grunde habe ich Euch schon alles erzählt, was ich von ihm weiß.«
    »Ihr wißt doch sicher mehr als das«, entgegnete Gaborn tadelnd. »Je länger ich Euch kenne, desto weniger traue ich Euren Worten.« Er hatte keine Ahnung, wie viele hundert Jahre der Zauberer bereits lebte, aber ganz bestimmt hatte Binnesman die eine oder andere Geschichte zu berichten.
    »Also gut«, ergab sich Binnesman. »Tatsache ist, Ihr habt recht. Ich habe keinen Vater. Wie alle Erdwächter wurde ich aus der Erde geboren. Bis ich aus eigenem Antrieb dieses Fleisch für mich bildete, war ich nichts weiter als ein Wesen, das jemand aus Schlamm geformt hatte.« Binnesman zog geheimnisvoll eine Braue in die Höhe.
    Gaborn sah zum Zauberer hinüber und hatte einen winzigen Augenblick lang das bohrende Gefühl, der Zauberer sei ehrlicher, als er zu sein vorgab.
    Dann war der Moment vergangen, und Gaborn mußte
    lachen. »Was für ein Lügner Ihr doch seid! Man könnte schwören, Ihr hättet diese Kunst erfunden!«
    Jetzt war es an Binnesman zu lachen. »Ach was, es ist eine hohe Kunst, aber erfunden habe ich sie nicht. Ich trachte lediglich danach, sie zu vervollkommnen.«
    In diesem Augenblick donnerte ein Kraftpferd von Süden her die Straße entlang. Das Tier war schnell und mußte drei oder vier Gaben erhalten haben – ein weißes Roß, das stets grell in der Sonne aufleuchtete, wenn es sich aus dem Schatten eines Baumes bewegte. Sein Reiter trug das Zeichen von Mystarria, einer grünen Mann auf einem blauen Feld.
    Gaborn stieg in den Sattel und wartete. Er spürte Gefahr und fürchtete die Nachrichten, die der
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