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Scharfe Pranken

Scharfe Pranken

Titel: Scharfe Pranken
Autoren: G. A. Aiken
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aber schließlich hatte Gwen eingelenkt und Tracey zu einem Training eingeladen.
    Traceys Plan sah vor, dass sie in ihrer katholischen Schuluniform – an der sie vorher die entsprechenden Änderungen für eine außerschulische Männerjagd vorgenommen hatte – beim Training auftauchen und den Hybriden mit ihrer Tigerinnen-Schönheit regelrecht hypnotisieren würde. Blayne hatte den Plan für durchaus solide gehalten. Tracey, in diesen Dingen alles andere als schüchtern, war in einer der Trainingspausen zum Angriff übergegangen. Blayne war so damit beschäftigt gewesen, ihr Cheesesteak-Sandwich hinunterzuschlingen, das sie sich in dem von Bären geführten Restaurant auf der anderen Straßenseite geholt hatte, dass sie das Ganze kaum mitbekommen hatte. Ihr Sandwich war bereits zur Hälfte verputzt, als sie das Gefühl beschlich, beobachtet zu werden – und ihr Gefühl trog sie nicht. Sie blickte auf und stellte fest, dass sie durch das Sicherheitsglas zwischen den Zuschauerrängen und der Eisfläche zwei durchdringende blaue Augen anstarrten.
    Er hatte kein Wort gesagt. Er hatte nur … gestarrt. Sie regelrecht angefunkelt. Er hatte sie so böse angefunkelt, als hätte sie seine Brieftasche geklaut oder ihn mit einem Rasiermesser geschnitten. Ihr wäre beinahe ein Bissen ihres Cheesesteaks im Halse stecken geblieben, während sie versuchte, sich auszurechnen, ob sie es bis zum Ausgang schaffte, bevor er sie schnappen konnte. Er sah aus, als wolle er sie bei lebendigem Leib auffressen, und bei einem Raubtier war das ganz und gar nicht gut. Vor allem nicht bei einem Raubtier, das Gerüchten zufolge mütterlicherseits von Dschingis Khan und väterlicherseits von den Kosaken abstammte.
    Blayne legte den Rest ihres Sandwichs beiseite und erhob sich langsam. Währenddessen verfolgten die blauen Augen jede ihrer Bewegungen. Er sah zu, wie sie ihren Rucksack aufhob und in ihren schwarz-weißen Halbschuhen langsam den Gang hinunterging. Er skatete neben ihr her und bemerkte gar nicht, dass die O’Neills sein Interesse registriert hatten. Als Blayne das Ende der Tribüne erreichte, stieg sie die Treppe zu dem breiten Gang hinunter, durch den die Spieler das Stadion betraten. Ganz langsam, um ihn nicht aufzuschrecken, streifte sie die Träger ihres Rucksacks über. Mit dem Rucksack auf den Schultern blickte sie sich noch ein letztes Mal um und erwartete, Bo Novikov noch immer auf dem Eis zu sehen. Doch nein, direkt hinter ihr stand er und starrte sie mit seinen blauen Augen finster an.
    Wie üblich löste Blayne die Situation mit der ihr eigenen Geschicklichkeit und Subtilität: Sie brüllte, als wolle sie jemand abstechen, und rannte davon. Gwen rief ihr etwas zu und rannte ihr nach, aber Blayne blieb erst stehen, nachdem sie aus dem Gebäude gestürmt, über die Straße gerannt und bis nach Hause gelaufen war. Sie stürzte in das Haus ihres Vaters, knallte die Tür hinter sich zu, schloss ab und schob den Lieblingssessel ihres Vaters, gefolgt von einem Beistelltisch, vor die Tür. Sie war gerade mit dem Klavier zugange, als ihr Vater aus dem Garten hinter dem Haus kam. »Was tust du denn da?«, fragte er, und Blayne war gezwungen, sich zu beruhigen, da ihr Vater über eine sehr niedrige »Toleranzschwelle« verfügte, was seine Tochter betraf – und ihr »irrationales Verhalten« stand ganz oben auf seiner »Null Toleranz«-Liste.
    Blayne holte tief Luft und antwortete: »Nichts. Warum?«
    Auch wenn ihr Vater ihr nicht wirklich zu glauben schien, hatte er die Sache auf sich beruhen lassen. Ganz im Gegensatz zu Tracey. Die Tigerin hatte Blayne die Schuld daran gegeben, dass sie all ihre Chancen zerstört hatte, die zukünftige – und sehr wohlhabende – Gefährtin eines Eishockeystars zu werden. Tracey hatte seither nie wieder ein Wort mit ihr gesprochen, worüber Gwen höchst erfreut war. Novikov wiederum hatte nur noch einen Monat für die Bezirksmannschaft gespielt, bevor er seinen ersten Vertrag in der Profiliga ergattert hatte. Blayne hatte ihn seit jenem Tag nicht mehr getroffen, und da sie nur sehr selten zu Hockeyspielen ging, hatte sie ihn auch nie spielen gesehen. Aber sie hatte von ihm gehört. Es war unmöglich, sich in der Gesellschaft von Sportfans aufzuhalten und nichts über Novikov zu hören.
    Um ihren Vater zu zitieren, der Sport so sehr liebte, dass er sich sogar die Vollmenschen im Fernsehen ansah: »Dieser Junge würde sogar seine eigene Großmutter plattmachen, wenn sie seinen Puck hätte.«
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