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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten
Autoren: Oliver Buslau
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sein.«
    Mike spürte, wie ihm kalt wurde. Er machte die Lampe aus. Sie lauschten. Es war still.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Mike flüsternd.
    Carola nahm ihm die Lampe ab. »Komm mit.«
    Sie liefen unter dem Brückenbogen durch. Auf der anderen Seite lag ein kleiner Parkplatz. Als sie dort angekommen waren, blickte Carola nach oben.
    Die Gülser Brücke war eine Eisenbahnbrücke. Neben den Gleisen verlief ein schmaler Weg für Fußgänger und Fahrräder. Der Weg lag jetzt genau über ihnen. Er war mit Neonlampen beleuchtet. Da es auf der einen Seite nur ein Geländer mit offenen Verstrebungen gab, konnte man den Weg gut einsehen.
    »Da hinten laufen welche«, sagte Carola. »Sie rennen rüber nach Güls.«
    »Wo?«, fragte Mike, der nichts erkennen konnte.
    »Jetzt sind sie weg. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet.«
    In diesem Moment näherte sich ein donnerndes Geräusch. Es war ein Zug, der die schwere Stahlkonstruktion der Brücke zum Zittern brachte. Es dauerte eine Weile, bis er mitsamt einer Wolke aus Lärm im Moseltal verschwunden war.
    »Lass uns abhauen«, sagte Carola dann.
    »Und das Geld?«
    »Was willst du damit machen?«
    »Ich weiß nicht. Zur Bank bringen?«
    »Was glaubst du, was die bei der Sparkasse sagen, wenn du mit so vielen Dollars auftauchst?«
    »Lass uns zurückgehen. Schauen wir uns den Koffer noch mal an.«
    Carola ging mit der Taschenlampe vor. Kaum waren sie ein paar Meter weit gekommen, blieb sie stehen und packte Mike am Arm. »Was ist das da vorne?«
    Das Licht der Taschenlampe erfasste etwas, das auf dem Wasser zu liegen schien. Etwas, das viel größer und unförmiger war als der Koffer. Langsam gingen sie näher heran.
    »Da schwimmt einer«, sagte Carola.
    Es war eine menschliche Gestalt, kaum drei Meter entfernt. Sie lag auf dem Bauch; die Arme waren ausgestreckt. Die Hände wirkten unnatürlich weiß. Sie schienen nach den Steinen am Ufer greifen zu wollen.
    Carola rannte weiter und zog den dünnen Stamm heran, mit dem sie den Koffer an Land gebracht hatten.
    »Wir müssen ihm helfen«, rief sie.
    Sie schob den Stamm zu dem Menschen hin, der da im Wasser lag, aber diesmal funktionierte es nicht. Er war nicht ans Ufer zu bringen. »Vielleicht hängt er irgendwo fest«, sagte Carola hastig.
    »Der regt sich nicht«, sagte Mike. »O Mann, ich glaube, der ist tot.« Panik stieg in ihm auf. Das Ganze kam ihm wie ein Albtraum vor.
    Carola ließ den Stamm fallen. »Scheiße. Wir müssen die Polizei holen.«
    »Dann tun wir’s eben.«
    »Das geht nicht. Wenn mein Vater erfährt, dass ich heute Nacht hier draußen war …«
    »Weg hier«, keuchte Mike.
    »Ja«, sagte Carola. »Wir hauen jetzt ab. Los.«
    Sie zog Mike zurück in Richtung Bushaltestelle, wo das Mokick stand.
    »Wohin?«, fragte Mike, als er den Motor anließ.
    »Zu unserem Platz rauf.«
     
    Es war nicht weit. Mike lenkte die röhrende Zündapp den Burgweg hinauf. Die Häuser endeten in einer Sackgasse. Dann begann ein steiler Hohlweg, durch den man wie durch einen engen Tunnel auf die Höhe gelangte. Hier ging dem Mokick fast die Puste aus. Danach erstreckte sich auf der einen Seite freies Feld, auf der anderen säumte dichtes, dorniges Gebüsch den Weg. Dahinter kippte der steile Moselhang hinunter.
    An einer Stelle konnte man das Gebüsch durchqueren und gelangte auf den schmalen Vorsprung – den Geheimplatz. Tagsüber war der Panoramablick über das Moseltal überwältigend. Jetzt, im Dunkeln, gab es nur die Gülser Lichter und den matten Schein des Flusses zu sehen, der auf dem Weg zur Mündung in Koblenz eine dramatische Kurve beschrieb.
    Sie setzten sich auf den felsigen Boden und schwiegen eine Weile. Das war normal. Sie mussten sich nicht unterhalten; sie konnten auch zusammen ruhig sein und die Atmosphäre genießen. Doch jetzt war es anders. In Mikes Kopf überschlugen sich die Gedanken.
    »Wir sollten das Geld holen«, sagte er plötzlich. »Wir könnten es doch irgendwo verstecken. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist, sind wir reich.«
    »Du spinnst«, sagte Carola. »Da ist jemand ermordet worden. Weißt du, was das bedeutet?«
    »Wenn die Polizei oder sonst wer das Geld findet, nützt das dem da unten auch nicht mehr.«
    »Vielleicht hat uns jemand gesehen. Und sich die Nummer von deinem Mokick aufgeschrieben.«
    »Dann muss die Polizei immer noch nicht draufkommen, dass wir das Geld haben. Wir sind doch nur Zeugen.«
    »Für meinen Vater reicht das schon. Lebenslange Ausgangs- und
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