Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
Verwaltung keinerlei Unterlagen über das Mädchen vorhanden waren? Möglicherweise täuschte er sich auch; sie besuchte vielleicht nicht die Universität von Chicago, sondern die Roosevelt-Universität und lebte nur in Hyde Park. Ich beschloss, zu dem Apartment zu gehen und nachzusehen, ob jemand zu Hause war.
    Also kehrte ich zurück zu meinem Wagen. Im Innern war es erstickend heiß, und ich verbrannte mir die Finger am Lenkrad. Zwischen dem Papierkram auf dem Rücksitz lag noch ein Handtuch, das ich vor einigen Wochen mit an den Strand genommen hatte. Ich zog es hervor und legte es über das Lenkrad. Da ich lange nicht in dieser Gegend gewesen war, hatte ich gewisse Schwierigkeiten mit den Einbahnstraßen, doch schließlich und endlich fand ich die Harper Street. Nummer 5462 war ein einstmals gelbes dreistöckiges Ziegelgebäude. In der Eingangspassage roch es wie in einem Bahnhof der Hochbahn - stickig und ein bisschen nach Urin. Eine Tüte mit der Aufschrift »Harolds Hühnerstall« lag zerknittert in einer Ecke, daneben ein paar abgenagte Knochen. Die innere Tür hing lose in den Angeln. Das Schloss fehlte anscheinend schon seit geraumer Zeit. Die vormals braune Farbe war überall abgesplittert. Ich rümpfte die Nase. Den Thayers war sicherlich nicht zu verübeln, dass sie an der Unterkunft ihres Sohnes keinen allzu großen Geschmack fanden.
    Es gab kein Klingelschild. Die Namen waren in Blockschrift auf Karteikarten geschrieben und mit Klebestreifen an der Wand befestigt. Thayer, Berne, Steiner, McGraw und Harata bewohnten ein Apartment im dritten Stock. Das musste wohl die abscheuliche Kommune sein, über die sich mein Mandant so aufgeregt hatte. Von Hill keine Spur. Ich fragte mich, ob er Anitas Familiennamen verwechselt hatte oder ob sie unter falschem Namen lebte. Ich drückte auf die Klingel und wartete. Keine Reaktion. Ich klingelte erneut. Wieder nichts.
    Inzwischen war es Mittag geworden, und ich entschloss mich, eine Pause zu machen. Wimpy's Snack Bar im nahe gelegenen Einkaufszentrum, an die ich mich erinnerte, hatte einem hübschen, klimatisierten Restaurant im griechischen Stil Platz gemacht. Ich aß dort einen hervorragenden Krabbensalat, trank dazu ein Glas Chablis und kehrte danach wieder zur Wohnung zurück. Vermutlich hatten die jungen Leute Ferien-Jobs und würden nicht vor fünf Uhr eintreffen, doch ich hatte am Nachmittag nichts weiter vor, als diesen Gauner von Druckereibesitzer aufzuspüren.
    Es meldete sich immer noch niemand, aber während ich läutete, trat ein zerknautscht aussehender junger Mann aus der Tür. »Wissen Sie, ob in der Wohnung von Thayer-Berne jemand zu Hause ist?« erkundigte ich mich. Er sah mich mit leicht glasigen Augen an und murmelte, er habe schon tagelang keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Ich zog Anitas Bild aus der Tasche und erklärte ihm, dass ich bemüht sei, meine Nichte zu erreichen. »Sie müsste jetzt eigentlich zu Hause sein, aber mir kommen langsam Zweifel, ob ich die richtige Adresse habe«, fügte ich noch hinzu.
    Er bedachte mich mit einem gelangweilten Blick. »Ja, ich glaube, sie wohnt hier. Ich weiß nicht, wie sie heißt.«
    »Anita«, sagte ich, aber er war bereits nach draußen ge schlurft. Ich lehnte mich gegen die Wand und dachte ein paar Minuten nach. Natürlich konnte ich bis heute Abend warten, um zu sehen, wer auftauchen würde. Ging ich allerdings gleich hinein, so hatte ich die Chance, eventuell mehr herauszufinden als durch Herumfragen.
    Ich öffnete die innere Tür, bei der das Schloss fehlte, wie ich schon morgens festgestellt hatte, und stieg rasch hinauf in den dritten Stock. Ich hämmerte gegen die Tür des Thayer Berne-Apartments. Keine Antwort. Ich presste mein Ohr dagegen und vernahm das leise Summen einer Klimaanlage. Daraufhin zog ich einen Schlüsselbund aus der Tasche, und nach einigen vergeblichen Versuchen hatte ich Erfolg.
    Ich trat ein und schloss die Tür sacht hinter mir. Ein enger Korridor führte direkt ins Wohnzimmer, das äußerst dürftig mit ein paar Baumwollkissen auf dem blanken Fußboden sowie einer Stereoanlage möbliert war. Die sah ich mir genauer an: ein Kenwood-Plattenspieler mit JBL-Lautsprecher. Hier hatte jemand Geld. Zweifellos der Sohn meines Mandanten.
    Aus dem Wohnzimmer gelangte man in einen Gang mit Zimmern zu beiden Seiten; man kam sich vor wie in einem Güterwagen. Als ich den Flur entlangging, stieg mir ein widerwärtiger Geruch in die Nase, der an fauligen Abfall oder eine tote Maus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher