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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse
Autoren: Ma2
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genommen, anzuhalten und ihr zu helfen.
    »Der Kühlerschlauch hat sich gelöst«, sagte der dunkeläugige, hübsche Automechaniker und beugte sich über den Motor. Er besaß Wimpern, die jede Frau neidisch gemacht hätten. Sie streichelten seine Haut wie dichte Pinsel, als er in den Rauch blinzelte.
    »Kann man das schnell reparieren?« fragte Yvonne hoffnungsvoll.
    »Ein, zwei Stunden dauert es schon«, antwortete er.
    Sie warf einen Blick auf ihre kleine Schmuckuhr aus Titan, die sie letzte Weihnachten von ihrem Mann bekommen hatte – das Geschenk war wie geschaffen für ein Weihnachtsgedicht, man hätte auf den Namen ihres Unternehmens anspielen können, aber Jörgen hatte sich natürlich mit einem kurzen Kommentar begnügt.
    Es war Viertel nach sechs. Yvonne war für solche Uhrzeiten dankbar. Die Uhr hatte ein längliches viereckiges Zifferblatt, keinerlei Zahlen oder Markierungen, die Zeiger waren kurz und spitz wie Rosendornen, der große nur unbedeutend länger als der kleine. Sie hatte ein halbes Jahr gebraucht, bis sie die Uhr ablesen konnte, und ganz sicher war sie nur bei der vollen, halben und viertel Stunde.
    Die Tatsache, daß es Viertel nach sechs war, war eigentlich kein Grund zur Dankbarkeit, denn es bedeutete, daß es nach Geschäftsschluß war und sie das Auto bis zum nächsten Tag in der Werkstatt lassen mußte. Sie holte ihr Handy aus der Aktentasche, um ein Taxi zu rufen, und wollte gerade den Automechaniker fragen, welche Adresse sie angeben sollte. Der Mann, der sie abgeschleppt hatte, war kreuz und quer durch kleinere Straßen gefahren, und sie wußte überhaupt nicht mehr, wo sie war.
    »Es kann auch schneller gehen. Sie können da drüben warten. Der Kaffee ist auf der Wärmeplatte«, fügte der Mechaniker hinzu.
    »Sie machen es also gleich? Sofort?« fragte sie erstaunt.
    Er nickte, und Yvonne dankte Gott für die fleißigen Einwanderer, die sich nicht um normale Arbeitszeiten scherten.
    Sie fuhr das Auto in die Werkstatt und ging dann eine kleine Treppe hinunter in einen Personalraum im Keller, wo sie die Wartezeit verbringen sollte.
    Der Kaffee stand tatsächlich noch auf der Wärmeplatte, und da hatte er vermutlich seit dem Morgen gestanden, dem Geschmack nach zu urteilen. Yvonne warf einen Blick auf die plastikbezogenen Stühle, sie wollte nicht, daß alte Ölflecke ihr nougatfarbenes Kostüm verdarben. Dann setzte sie sich und nippte an dem bitteren Getränk im Pappbecher, schaute sich im Raum um: verblichene Plakate mit Formel-1-Wagen, nicht ausgeleerte Aschenbecher und ein Kalender, auf dem das Mai-Model rittlings auf einem Lastwagenreifen saß. Der Gedanke, ein, zwei Stunden hier zu verbringen, war nicht sehr verlockend.
    Sie ging wieder in die Werkstatt hinauf und dann hinaus auf die Straße. In den angrenzenden Häusern schienen früher einmal Läden gewesen zu sein, was jetzt dort stattfand, war nicht recht zu erkennen. Weiter vorne sah sie einen Fußballplatz und daneben einige einstöckige Gebäude, die eine Schule sein mochten. Sie schlug diese Richtung ein, dort schien es am grünsten und hübschesten zu sein, und als sie dort war, stellte sie fest, daß sie am Rande eines kleinen Vororts mit Einfamilienhäusern war, aber sie wußte nicht, in welchem Stadtteil sie sich befand.
    Sie ging eine Straße entlang und betrat so zum ersten Mal die Welt, die sie später bis ins kleinste Detail kennenlernen sollte. Aber bei diesem ersten Mal war es nur ein unbekannter Vorort, ein Seitengleis, auf dem sie ein, zwei Stunden zubringen würde, weil sie darauf warten mußte, daß ihr Auto wieder fahrtüchtig war und sie auf das Hauptgleis zurückbringen würde.
    Von diesem ersten Mal waren ihr vor allem das Grün, die Stille und der Gesang der Amseln in Erinnerung geblieben. Sie ging, nein sie wanderte, schlenderte in einem angenehmen, meditativen Tempo, das sie sonst erst nach ein paar Wochen Urlaub schaffte, und schaute sich um wie eine Touristin: offen, neugierig, aufnehmend.
    Die Obstbäume und Forsythien blühten. Die Birken zeigten gerade das erste Grün, es war vielleicht nur wenige Stunden alt, im Wäldchen am Rande des Vororts schwebte das leuchtende Grün wie ein halb durchsichtiges, grünes Gas über den Baumkronen. Die Menschen arbeiteten in ihren Gärten. Es roch nach Erde. Bälle wurden gekickt, Fahrräder rollten die Straße entlang, die Kinder riefen in der blauen Dämmerung.
    Ein Igel trottete auf seinen kurzen Beinchen über die Straße. Er sah ausgesprochen
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