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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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das nicht vergessen will, wo es herkommt, denkt der andere Teil. Die Summe dieser Teile verstummt und liebt die Sekunden, in den sie existieren. Dass ein Leben als menschliche Summe spannend sein kann, ist für beide neu und daher umso erfreulicher. Die Wiederkehr beziehungsweise Neugeburt eines guten Gefühls.
    Auf dem Tisch liegt die Bildzeitung, die gute, alte, traditionsreiche Informationsbroschüre für Leute, die gerade am Kacken sind. Ein Journal für Menschen, die beim Arbeiten frieren und beim Essen schwitzen. Sie passt so gut nach Deutschland wie Thüringer Rostbratwurst, offener Rassismus oder Bayern München. Sie offenbart auf Seite vier: "Deutschlands frechster Heiratsschwindler in Venedig." Und darunter steht ein Statement: "Frank Ficker hat mich in der Gondel verschaukelt." Frank Ficker war also wieder mal unterwegs.
    Es ist November. Draußen weht ein Wind, der Herzen zerreißen kann. Stürmisches Aufbegehren wendet das Laub auf dem Asphalt, das tänzelnd sich in die Luft erhebt, die feuchte Draußenerde lädt zu einem Spaziergang ein, aber wer mag schon dem Ruf von Erde folgen? So gleißend geil der Sommer war, so bricht der Herbst nun herein. Einst starke Bäume stehen kahl. Sie können nicht anders, die guten Bäume. Hätten sie keine Wurzeln, sie würden verschwinden, einfach weglaufen. Zwei Kerzen flackern auf einer Fensterbank, positioniert mit Liebe zum wohnlichen Detail. Es riecht nach koffeinhaltigen Heißgetränken und einer billigen, zurechtgebogenen Harmonie. Schlagermusik aus irgendeinem kleinen Radio bringt eine weitere faulige Süßemit in die Atmosphäre. Ungeschickte, pseudoerotische männliche Vokalakrobatik trifft einen kaputtgehäkelten Klangteppich aus Bontempibilligkeyboards und elektronischen Trommelsamples und das alles soll Spaß machen und Fröhlichkeit in Arbeiterherzen streuen. Wohl kaum, wohl kaum. Der Liedtext geht exakt so:

... ja die Liebe ist ein helles Licht, Das in alle Herzen scheint Beschütz es, dass es ausgeht nicht Und keiner hier mehr weint ...

... vermeide Leid, schenk Blumen, Kind So wird das Leben schön und bunt Wir wissen, wer wir heute sind Wer liebend lebt, der lebt gesund ...

... und wenn du einmal traurig bist, Was immer vorkommt auf der Welt, Dann weißt du, dass da jemand ist, Auf den du und der auf dich zählt ...
    Kitsch as Kitsch can. Wer davon nicht zittert, hat einfach keine Gefühle. Musik in den luftleeren Raum der Wohlstandsgesellschaft.
    Das Lied, so sagt der Radiomoderator, nennt sich "Liebend leben" und ist von Jacques Brast. Ein neuer Stern am Schlagerhimmel gerät der Moderator ins Schwärmen. Ein Mann, der Watte in der Stimme hat. Eine Wattestimme als Waffe der Romantiker. Manchmal klingt der Mann, als hätte er Komplettpackungen Abschminkpads im Mund.
    Gänsehaut für Gänsehautwillige und das sind die beiden Menschen vor der Radioempfangsstation. Kaffeegeruch wabert durch die gute Stube. Beide glaubten sich oder auch den anderen verloren zu haben und jetzt ist da diese Harmonie, nicht nur im Kaffeegeruch, sondern auch im zärtlichen Leben zu zweit.
    Karla und der französische Mann trinken Kaffee. Sie sind zurück aus Afrika, weil es da zu gefährlich wurde. Ein Kind hat auf sie geschossen, getroffen hat es sie sogar mit seinen bösen Dritte-Welt-Geschossen. Das einarmige Banditenkind gehörte wohl zur Achse des Bösen, mutmaßten die Opfer später. So ein afrikanischer Terrorschützenschüler war das wohl. Karla hat es am Arm erwischt und den dicken Mann hat das Zufallsattentat ein Auge gekostet. Als das Kind sein Magazin auf das Straßencafé verschossen hatte, zögerte der Wirt des selbigen nicht lange und holte ein großes Gewehr, das er neben der Kühltruhe aufbewahrt hatte. Das verzweifelte Kind wurde von einem mächtigen Geschoss zerrissen, das der Wirt auf es abfeuerte. Der Kinderkörper zerfloss förmlich auf der Straße, eine körperliche Struktur war nicht mehr zu erkennen. Alte Frauen haben das später weinend weggeräumt. Sie weinten nicht wegen des Todes des Kindes, sondern aus Gewohnheit.
    Der französische Mann und Karla wurden in ein altes, kaputtes Krankenhaus gebracht. Beide hatten Glück gehabt. Der Mann ein wenig mehr, denn wenn das Geschoss nur ein wenig schneller gewesen wäre, hätte er mehr als ein Auge eingebüßt. Teile des Gehirns wohl oder auch das dicke Leben. Der Rest ist Legende ...
    Da sitzen die beiden und sind sich sympathisch. Reden müssen sie nicht. Sie verstehen sich ohne Worte. Sie haben eine
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