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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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Schön glatt und nur nach außen rebellisch, weil einen gewissen Ruf hat man als Theater ja zu verlieren. Kommt man rein ins Gewandhaus, wird überall aus jedem Winkelauge gemahnt und gewarnt und Revolutionen werden geplant, doch die Stille nach dem Applaus ist die eigentliche Richtung. Nie brennen Autos nach Vorführungen, nie werden den Banken die Fensterscheiben mit den Kreditplanungsvorschlägen dahinter eingeworfen, nie wird die Bühne gestürmt und Stücke vom Volk beantwortet. Nie, aber Theater ist was Radikales. Der H&M-Mantel tauscht die innere Kälte gegen äußere Wärme und Zuversicht.
    Ach das Stück, das Stück, das war eigentlich egal, Theater ist doch was Radikales. Hat sich hier wer mit Absicht erbrochen heute? Leider niemand ... Geklatscht wurde, nicht zu lang. Es lebe das Mittelmaß des Mittelstandes.
    Garderobenmädchen ist ein Scheißjob. Blöde Arbeitszeiten, kaum Trinkgeld und nur von stinkenden Textilien umgeben und immer dieseBlicke, diese ergriffenen Versteherblicke, wenn Menschen aus Theatern rollen und ihr Richtigsein zelebrieren. Die geben dann Num-mern ab und das Garderobenmädchen muss dann das dazugehörende Textilteil herpuzzeln. Ein Spiel, das niemand versteht, aber jeder spielt mit.
    Die Aufbruchsstimmung gehört der Allgemeinheit. Ein Schlendern ist das hier, unglaublich, was hier geschlendert wird. Ein Strömen. Menschengequetsche durch rot beteppichte Flure Richtung Toiletten, Cafés oder zu Bushaltestellen. Das Theater, das Gewandhaus, dieses alte Haus mit der Kunst, die ganz, ganz innen liegt. Dieses Haus wird nun leer gemenscht. Alle raus. Nichts bleibt, nur ein gewisser Schein. Die gebildete Masse Mensch plätschert durch Glasdrehtüren ins Freie. Zellen laufen hier haufenweise Amok. Pseudoverständnis in vielen Gesichtern.
    Und ein Gemurmel geht hier durch die Leute. Ein Sagen und auch ein Nichtsagen. Zaghafte Eleganz trifft auf pseudointellektuelle Mittelklasse und jeder weiß, wovon gesprochen werden sollte. Ein Chor aus Stimmen und schrillem und leisem Gelächter, Gehuste, zartem Gefurze, penetrantem Geräuspere und klingenden Gläsern. Die Premiere ist vorbei und keiner weiß mehr.
    Und kulturelles Sprechen ist auch dabei. Unterhaltungen über alles. Die Kunst wird draußen, abseits von ihrem Stattfindungsort, nochmal klein gehackt. Da ist von "Szenenbildern aus rot geschmücktem Wahnsinn" die Rede und solche Phrasen werden beantwortet mit: "Darstellerinnen vom Babystrich sind zumindest die, die noch mit Leidenschaft spielen". Alles in allem redet man an der Eigentlichkeit vorbei, übt sich in Phrasendrescherei und verlässt glücklich über den Zustand, Kultur mitgenommen zu haben, den Platz der Geschehnisse. Dann nimmt man morgen noch mal den Goethe mit oder den Beethoven odersonst wen. Tiefe will da keiner mehr, aber mitnehmen wollen alle. Das Mitnehmen von vielerlei lässt ja auch überhaupt keine Tiefe mehr zu. Nein, die Menge des Kulturinputs macht die Köpfe eher kaputt.
    Draußen flackern Feuerzeuge und es wird geraucht. Drinnen ist das verboten. Wegen der Rauchmelder und wegen der Nichtraucher. Die Unterhaltungen gehen weiter und die sich Unterhaltenden nach Hause. In ihre Luftschutzbunker, in ihren durchgefickten Sicherheitsuterus. Diese Leute gehen langsam mit voller Absicht. Sie sind die liberale Blockade für die, die Weiterkommen wollen. Die Penner schlendern. Sie schleichen förmlich, gehen diese nervös machenden Kleinschritte. Nur kleine Geister machen kleine Schritte. Manche bleiben sogar nach einigen Metern wieder stehen, um sich zu vergewissern, ob sie noch lebendig sind. Atmen allein reicht einfach nicht mehr aus, um Leben zu fühlen. Stehen bleiben und Luft angucken und die Nacht gutfinden.
    Ein hässliches Mädchen ist die Sonja augenscheinlich und sie ist nach der Vorstellung sitzen geblieben. Einfach so. Für sie und ihre Hässlichkeit gibt es keinen Grund aufzustehen. Niemand wartet irgendwo. Sie ist jung und unglücklich, weil nicht schön. Ihre Augen zu nah aneinander, eine Nase, lang und krumm, ein Kopf in der Form eines Medizinballs, schiefe, ungleich lange Beine, kaum Busen, nur 1,53 m groß und ganz dumme Haare, die man nicht kämmen kann. Sie bleibt sitzen und die osteuropäische Saubermachhilfe putzt um sie herum und beachtet sie dabei nicht. Wahrscheinlich hält sie das sitzende Subjekt für ein Kunstding, das man nicht berühren darf. Und sie will keinen Stress haben so wie damals die Putzfrau, die Joseph Beuys' Fettecke gereinigt
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