Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarum

Sarum

Titel: Sarum
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
werden. Die beiden Gruppen jagten miteinander, und gegen eine geringe Abgabe von Pfeilspitzen aus Feuerstein wurde sie Hwll von ihrem Vater übergeben.
    Nun war sie zweiundzwanzig und trat in die Lebensmitte ein. Sie sah besser aus als die meisten der zähen, wetterharten Frauen ihres Alters. Sie hatte dichtes braunes Haar, das jetzt mit Tierfett eingerieben und glanzlos vom Regen war. Ihre Augen hatten die ungewöhnliche Farbe der Haselnuß, ihr Mund war breit und sinnlich. Sie hatte noch fast alle Zähne, und ihr Gesicht war faltenlos. Es war jedoch der Gedanke an ihren Körper, der auf das verschlossene Gesicht des Jägers ein zärtliches Lächeln zauberte: Ihr Leib war weicher als die gedrungenen, behaarten Körper der anderen Frauen, die er kannte. Und ihre Haut war straff und schimmernd und brachte sein Blut in Wallung. Immer noch hielt er den Atem an, wenn er an die wundervollen Wölbungen ihrer Brüste und an den wohlgeformten kräftigen Körper dachte.
    Im Tundrasommer hatte es eine herrlich warme Periode von kaum einem Monat gegeben. Während dieser traumhaften Tage gingen Hwll und Akun oft hinunter an einen der vielen Bäche, die sich durchs Land schlängelten, und sie badeten im kalten, schäumenden Wasser. Danach streckte sie ihren schönen Körper in der warmen Sonne aus, und Hwll warf sich in überschwenglicher Freude, sich seiner Männlichkeit voll bewußt, über sie. Sie lachte ihr tiefes, tönendes Lachen, das aus der Erde selbst zu kommen schien, und näherte langsam ihren fordernden, sinnlichen Mund dem seinen.
    Sie war in der Tat ein Wunder! Mit einem untrüglichen Instinkt fand sie immer die schönsten Beeren und Nüsse, und sie war geschickt in der Anfertigung von Fischernetzen.
    Zwanzig Tage nach ihrem Aufbruch hatten Hwll und seine Familie die Hügelkette hinter sich und wandten sich nun nach Osten. Das Land war flach und hatte mehr Vegetation. An den Bächen wuchs Gehölz. Hwll nahm diese Veränderungen mit Freuden wahr; doch der leichte Wind kam aus Osten, und es war immer noch kalt.
    Was die Kinder betraf, hatte er recht behalten. Vata war schmächtig und schmalgesichtig, aber sie ging mit vorgestrecktem Kopf dahin. Der Junge jedoch machte ihm Sorge. Am Tag zuvor hatte er sich zweimal geweigert weiterzugehen. Hwll und Akun wußten, was sie zu tun hatten: Würden sie einmal nachgeben, durchbrach der Junge den notwendigen Rhythmus der Reise. Er durfte gar nicht auf den Gedanken kommen, daß sie auf ihn warten würden. So ließen sie ihn einfach stehen, und er sah, wie die Eltern sich allmählich entfernten. Schließlich kehrte Vata um und zog ihn weiter, und als sie die Eltern eingeholt hatten, standen seine Augen voll Tränen. Den ganzen Tag über sah er die Eltern nicht mehr an. Allerdings blieb er auch nie wieder zurück.
    In dieser Nacht lagerten sie im Schutz des Gehölzes, und Hwll fing zwei Fische im Bach. Akun saß ihm gegenüber, ein kleines Feuer flackerte zwischen ihnen. Die beiden Kinder hatten sich an die Mutter gedrängt.
    »Wie weit ist es noch bis zum Wald?« fragte sie nun. »Sechs Tage, glaube ich«, sagte er und schlief ein. Fünf Tage vergingen. Sie hatten einen weiteren Hügelkamm und viele Bäche zu überqueren. Hwll war fasziniert von der allmählichen Wandlung der Landschaft. »Bald seht ihr den großen Wald«, versprach er ihnen. Um ihnen Mut zu machen, wiederholte er jeden Tag, was sein Vater ihm erzählt hatte. »Im Wald gibt es viele verschiedene Baumarten und eine Menge Wild und seltsame Vögel und Tiere, die ihr nie vorher gesehen habt. Es ist wundervoll dort.«
    Am sechsten Tag trat eine Katastrophe ein, die der Jäger sich nie hätte träumen lassen.
    Er wachte auf, und es war ein klarer kalter Tag. Akun und die Kinder schliefen noch, in Pelze eingewickelt und eng aneinandergeschmiegt, neben ein paar Büschen. Er stand auf, schnupperte in die Luft und blickte nach Osten, wo eine wäßrige Sonne aufging. Sein Instinkt sagte ihm sogleich, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Doch was war es? Schließlich hörte er es: ein kaum wahrnehmbares Murren, ein Dröhnen in der Erde, irgendwo im Osten. Er legte das Ohr auf den Boden und runzelte die Stirn. Auf alle Fälle waren das keine tierischen Laute. Hwll schüttelte verwirrt den Kopf.
    Er stand auf. »Die Luft«, murmelte er. Es ließ sich nicht leugnen – etwas Merkwürdiges lag in der Luft. Da begriff er: Die sanfte Brise schmeckte nach Salz.
    Aber warum schmeckte die Luft nach Salz, wenn er dem großen Wald
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher