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Sartre

Sartre

Titel: Sartre
Autoren: Heiner Hastedt
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permanenten Aufbruch und nicht im Beibehalten des einmal Erreichten.
    Sartre überwindet nicht nur die Grenzen von Literatur, Theater, Publizistik und Philosophie, sondern ist zugleich ein Anhänger von Philosophen, die gewöhnlich als kaum miteinander vereinbar angesehen werden: Marx und Nietzsche zugleich zu verehren, schafft er ebenso wie eine gedankliche Kombination von Hegel, Husserl und Heidegger vorzunehmen. Sachlich versucht er Freiheit und Faktizität ebenso zusammenzudenken wie Existenzialismus und Marxismus. Sartre hat in seinem Leben häufiger seine Grundsätze geändert, ein Phänomen, das wir auch bei anderen großen Philosophen des 20. Jahrhunderts finden: Ludwig Wittgenstein verlässt nach dem
Tractatus Logico-Philosophicus
die Philosophie, um sie nach einer Kunstpause schließlich doch ganz neu zu beginnen (u. a. dokumentiert in seinen
Philosophischen Untersuchungen
). Martin Heidegger vollzieht nach
Sein und Zeit
[14] eine Kehre zur Lichtung des Seins. In der Zeit nach Sartre hat Michel Foucault seinen besonders häufigen Meinungswandel geradezu zum Prinzip erklärt.
    Der unbändige Individualist, der Nietzscheaner, kommt vor allem in Sartres frühen literarischen Werken und in seinem Lebensstil zur Geltung. Nach seiner Auseinandersetzung mit Husserl, Heidegger und Hegel, vor allem in
Das Sein und das Nichts
, wird er in der
Kritik der dialektischen Vernunft
zu einem hegelianischen Marxisten. Sein Lebenswerk wird schließlich gekrönt durch die gedankliche Vermittlung von Freiheit und Gesellschaft in seinen philosophischen Biografien, vor allem in seinem autobiografischen Roman
Die Wörter
und im mehrbändigen Flaubert-Projekt
Der Idiot der Familie
.
    Mit Lévy lässt sich der frühe Sartre als »Champion aller Klassen des metaphysischen Antitotalitarismus« 12 deuten. Umso erstaunlicher ist es daher, wie sehr Sartre sich durch seine Äußerungen ab den fünfziger Jahren in die Nähe des Stalinismus begeben hat und in der
Kritik der dialektischen Vernunft
zum Gemeinschaftstheoretiker wird. Möglicherweise besteht hier sogar ein Zusammenhang: Der metaphysische Antitotalitarist, dem es zu »kalt« wird, mag geradezu anfällig sein für den politischen Totalitarismus. 13 Bei Sartre kommt an diesem Punkt wohl die gleiche Ambivalenz zur Geltung, die wir aus der 68er-Generation kennen: Die persönliche Unkonventionalität erscheint gekoppelt mit einem politischen Holzweg, der durch Empfänglichkeit für politischen Totalitarismus gekennzeichnet ist. Der eher private Nietzsche scheint mit dem öffentlichen Marx kombinierbar zu sein. Um Sartre insgesamt als Philosophen der Freiheit zu profilieren, soll im Folgenden zunächst Nietzsche den gedanklichen Ausgangspunkt bilden, während die Beschäftigung mit Marx für die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Gesellschaft im Werk Sartres steht.

[28]
3. Sartre im Kontext der französischen Philosophie
    Die Philosophie präsentiert sich besonders in Mitteleuropa als eine sehr stark von den Nationen (manchmal von den Regionen) geprägte Form der Kultur. Demgegenüber haben wir es in der Physik, in der Medizin oder der Ökonomie mit einer weitgehenden Internationalisierung zu tun, die schon eingesetzt hat, bevor Globalisierung zu einem kritischen Schlagwort wurde; die Erschließung der subatomaren Welt, der Kampf gegen Aids und Krebs machen ebenso wie die Suche nach Anlagen für Geld an den Grenzen der Nationen nicht Halt. Während sich die Kultur beim touristischen Reisen, bei Museumsbesuchen, aber auch bei der Kochkunst weit für die Welt geöffnet hat, scheint sich die Philosophie mit der Internationalisierung schwer zu tun. Ungeachtet der Rezeption einzelner Denker aus anderen Ländern lässt sich doch immer noch die Dominanz nationaler Stile beobachten. Es sei dahingestellt, ob dies als ein Indiz für den provinziellen Charakter der Philosophie oder eher als intellektuelle Beheimatung und wünschenswerte Entschleunigung zu bewerten ist.
    Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, ein Verständnis für die Besonderheiten französischer Philosophie zu entwickeln, um vieles im Denken von Sartre besser verstehen zu können und einen deutschen Provinzialismus zu vermeiden. Die Maßstäbe guter Philosophie sind in Frankreich andere als in Großbritannien oder in Deutschland; deshalb kann Sartre in Deutschland und Großbritannien auf keine eindeutige Wertschätzung hoffen. Gleichwohl sollte er nicht deshalb abgelehnt werden, weil kein Gespür für den Kontext
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