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Sartre

Sartre

Titel: Sartre
Autoren: Heiner Hastedt
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während des Zweiten Weltkrieges eine Zeit lang doch nicht dort aufhält, dann geschieht dies unfreiwillig. Ungeachtet der vielen Reisen stellt Paris seine eigentliche Heimat dar, und die anderen Grenzen kann er vielleicht gerade deshalb souverän überschreiten, weil er diesen Mittelpunkt seines Lebens immer behält. Sartre schreibt oft in den Bistros seines Stadtteils, in einer vertrauten Öffentlichkeit also, die wie das »Deux Magots« und das »Café Flore« heute ganz zu Kultstätten des Tourismus geworden sind.
    Seine Philosophie ist nicht vom akademischen Milieu einer Universität geprägt. Zwar hat er an einer der französischen Eliteuniversitäten studiert, aber universitär angestellt ist Sartre nie gewesen. Er arbeitet zunächst als Gymnasiallehrer in der Provinz und lebt dann mit zunehmendem Erfolg als freiberuflicher Schriftsteller. Freiheit bedeutet für Sartre auch Freiheit von der Enge der Universität und Freiheit in der Bestimmung eines eigenen Tagesrhythmus: »Ich schrieb Bücher, die meine ganze Zeit in Anspruch nahmen […]. Ich betrachtete es nicht als eine Ehre, Professor am Collège de France zu sein.« 7
    Wichtiger als der akademische Hintergrund sind für Sartre [12] denn auch die Medien: Er ist der erste große Philosoph des Medienzeitalters. Régis Debray hat markant drei Epochen des französischen Geisteslebens im 20. Jahrhunderts unterschieden und in ihrer jeweiligen Dominanz auch mit Daten versehen. Nach dem Universitätszyklus – datiert von 1880 bis 1930, in dem die wirkungsmächtigen Intellektuellen zugleich an der Universität tätig sind – folgt für Debray der Zyklus des Verlagswesens, der überlappend von 1920 mindestens bis 1960 reicht und dann langsam an Bedeutung verliert. Es ist dieser über die Verlage medienorientierte Zyklus, der für Sartre den Hintergrund bildet, so dass sein Verlag Gallimard geradezu seinen Erfolg garantiert. Der 1968 beginnende Medienzyklus im engeren Sinne wird aus der Sicht Debrays nach und nach vom Fernsehen dominiert und bringt andere Intellektuelle (z. B. Bernard-Henri Lévy, geboren 1949, als neuen Philosophen und späteren Verfasser einer Sartre-Monografie) immer stärker zur Geltung. Im Verlagszeitalter steht das publizierte Buch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; die mediale Präsenz folgt den erfolgreichen Büchern. Wo der Schreiber arbeitet, spielt dabei keine große Rolle. Sartre ist also in den Zeitungen und im Rundfunk als den Medien der fünfziger und sechziger Jahre präsent, insofern er der Autor von Büchern ist, die im Verlag Gallimard bereits erschienen sind.
    Nicht zuletzt weil er einen so treuen und großzügigen Verlag hat, kann er verschwenderisch mit seinen Texten und Werken umgehen, denn er schreibt sie – und vergisst sie: »Sartre liest seine Manuskripte nicht noch einmal durch, korrigiert kaum die Fahnen, verifiziert niemals die Korrektheit oder den Ursprung eines Zitates, beläßt es bei Unkorrektheiten, Schwächen und Redundanzen, die ein schlichtes Noch-einmal-Lesen aufgespürt hätte.« 8 Sartre als Autor müssen also Eigenschaften zugesprochen werden, die ihn nicht gerade zum Vorbild für Proseminararbeiten machen (jedenfalls so lange nicht, bis sich die eigene Genialität gefestigt hat). Typisch für ihn ist auch das Unfertige als Merkmal aller seiner größeren Bücher. Immer wieder werden Fortsetzungen [13] angekündigt, die nie erscheinen (oder doch nur als Fragment nach seinem Tod).
    Vermutlich weil er das Unfertige und den ständigen Neuanfang liebt, lehnt er auch die mit dem Älterwerden nicht ausbleibenden Ehrungen ab, 1964 sogar den Nobelpreis für Literatur. Lévy spricht von seinem Misstrauen »gegenüber allem, was ihn in eine Statue verwandeln und auf diese Weise ersticken könnte« 9 . So ist auch die permanente Grenzüberschreitung deutbar, die ihm die Gewähr bietet, nicht zur festgelegten, also unfreien Statue zu werden: »Während seiner gesamten Existenz hat Sartre nicht aufgehört, sich neu in Frage zu stellen.« 10 Sogar das letzte vor seinem Tod geführte und publizierte Gespräch zeigt Sartre noch als munteren »Kobold«, der sich mit ungewohnten Themen wie dem jüdischen Messianismus, der Hoffnung und der Brüderlichkeit auseinander setzt. 11 Viele Weggefährten haben 1980 dieses Gespräch als Distanzierung von seinem bisherigen Werk empfunden und sogar versucht, die Zeitungspublikation zu verhindern – meines Erachtens zu Unrecht, denn Sartres Treue zu sich und anderen liegt im
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