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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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Haus wohnte, der rief nicht zum Zeitvertreib an, der hatte sicher was Besseres zu tun.
    Die Haustür war aus Holz, eine schöne Tür aus massivem Eichenholz mit Intarsien. Da kannte ich mich aus, weil mein Großvater Zimmermann war. Der letzte Zimmermann von Torre del Greco, dem Ort, aus dem ich kam. Er hatte sich mit Fischerbooten abgerackert, und ich war immer bei ihm gewesen, um das Handwerk zu lernen. Wenn Mamma vor einem Jahr nicht mit ihren Beziehungen angekommen wäre und mich bei der Polizei untergebracht hätte, wäre ich bei den Booten hängen geblieben.
    Ich strich mit der Hand über das Holz, um nach Anzeichen von Gewalt zu suchen, aber die Tür war angelehnt.
    »Einbruch?«, schrie Cipriani von unten hoch.
    »Glaub nicht.«
    Plötzlich stieg in mir eine Hitzewelle hoch, ich spürte, wie mir das Hemd vor Schweiß am Körper klebte.
    Das ist diese Scheißhitze. Was sonst?
    Ich schob die Tür auf und ging rein.

2.
    Drinnen war es stockdunkel, nichts zu sehen. Fast bekam ich Angst. Aber nicht so, wie wenn du bei einem Überfall in eine Bank musst. Da weißt du, dass du dir jederzeit ein paar Kugeln fangen kannst. Die Angst ist nachvollziehbar, die kann man haben. Das hier war anders. Wie als Kind, wenn du in ein dunkles Zimmer musst und denkst, dass sich dort im Schatten was versteckt, das gleich nach deinem Arm oder deinem Bein greift oder dir von hinten mit heißem Atem in den Nacken bläst.
    Genau so war es in diesem Hauseingang. Mein Herz schlug heftig, mein Hemd war total verschwitzt, und meine Augen versuchten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
    Dann sah ich von hinten einen hellen Schimmer, ohne zu wissen, wo der herkam, und glaubte plötzlich, dass sich da im Schatten was bewegte.
    Mit einer Hand zog ich die Pistole, mit der anderen suchte ich den Schalter an der Wand. Als ich ihn endlich fand, drückte ich drauf, und das Licht ging an.
    Der Hausflur war groß und hell, mit einem Brunnen in der Mitte, allerdings ohne Wasser. Hinter dem Brunnen, ganz hinten, war ein bogenförmiger Ausgang, der in einen Hof oder Garten führte. Rechts das Pförtnerhäuschen, leer. Links eine breite Marmortreppe. Neben der Treppe ein Aufzug mit Holztür und Glas innen.
    Das alles sah ich in dem Moment, als das Licht anging.
    Bis ich das Mädchen entdeckte, dauerte es einige Sekunden.
    Sie lag auf dem Boden, zwischen der Treppe und der Tür, wo ich stand, mit dem Gesicht auf dem Boden. Zusammengekrümmt wie eine schlafende Katze.
    Aber sie schlief nicht.
    Sie war tot.
    Wie sie so dalag, hätte man auch denken können, sie ist ohnmächtig geworden oder ihr geht es schlecht, aber ich wusste, dass sie tot war. Ich hatte es im Gefühl.
    Ich steckte die Pistole zurück in den Gurt und lief zu ihr.
    Sie hatte ein schwarzes Strass-T-Shirt an, helle Stoffhosen mit Gummizug an den Knöcheln und einen Turnschuh ohne Schnürsenkel. Ein Fuß war nackt. Blut sah ich keins. Ich beugte mich über sie und berührte mit dem Handrücken ihren Hals. Er war schon kalt. Das hatte ich erwartet, aber es war was anderes, sich das vorzustellen, als die Kälte wirklich zu spüren. Ich legte zwei Finger auf ihre Halsschlagader und fühlte zur Sicherheit ihren Puls, aber da war nichts mehr zu machen.
    Ich zog die Hand weg und schaute mich um. Erst jetzt fiel mir die Stille auf. Das war nicht normal. Nicht mal nachts ist es so. Ich erwartete, dass plötzlich ein Schrei in die Stille platzte, dass jemand lachte oder jammerte.
    Nichts. Nur mein Atem.
    Dann schaute ich wieder das Mädchen an. Ich starrte auf ihren nackten Fuß. Die Zehen waren klein, ein wenig rundlich, die Nägel lila. Vor ein paar Stunden hatte sie noch gelebt und sich die Nägel lackiert, vielleicht Musik dabei gehört. Dann dachte ich, dass ich nicht hier rumsitzen und mir über lackierte Zehennägel den Kopf zerbrechen konnte.
    Ich versuchte zusammenzukriegen, was zu tun war. Dabei sah ich neben der Treppe den zweiten gelben Schuh. Ich stand auf, nahm ihn in die Hand und wollte ihn dem Mädchen anziehen, dieser Körper mit nur einem Schuh kam mir schlimm vor, respektlos. Dann ließ ich es bleiben, wegen der Spurensicherung.
    Ich ging zu dem Mädchen zurück und beugte mich nochmal über sie, um sie genauer anzuschauen. Mir fiel auf, dass ihre Hände schmutzig waren, kapierte aber nicht, ob es Staub war oder was anderes. Dann hob ich ihren Kopf ein wenig an. Dass man das eigentlich nicht durfte, wusste ich, den Tatort soll man so lassen, wie er ist, aber ich wollte ihr Gesicht
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