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Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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Amt berufen.“ Der Abt seufzte tief, das lange Sprechen hatte ihn angestrengt. „Es liegt leider nicht an meinem Wollen und Trachten“, fuhr er fort, „sondern einzig an Gottes Erbarmen, dass ich auch die letzte Prüfung des Jungen noch erlebe. Daher habe ich Vorsorge getroffen und einen Bruder meines Vertrauens in alles eingeweiht. Macht Euch also keine Sorgen. Und nun geht, Bruder Marcellus, aber redet mit niemandem darüber.“
    Der Novizenmeister bemühte sich um Haltung. Boson hatte ihn gerade erschreckt. Wer konnte diese Vertrauensperson sein? Bruder Paulus, dem der Alte ein Zeichen gemacht hatte? In Marcellus Brust brannte es. Paulus war sein Rivale in der Anwartschaft für die Abtswürde. Doch noch war nicht aller Tage Abend.
    Boson wies mit seinem Stock zur Tür. „Und damit die anderen Ruhe geben, soll der Junge meinethalben auch die Latrinen reinigen. Aber vergesst darob nicht, ihn gründlich zu lehren und beantwortet seine Fragen nach Eurem Wissen und Vermögen. Benedicite! “
    Mit einem unterwürfigen Deo gratias , aber zutiefst davon überzeugt, dass irgendwann die Letzten die Ersten sein würden, eilte Marcellus hinaus. Er hatte nicht alles erfahren, was ihn interessierte, aber es war ein guter Anfang. Der Abt wusste mehr über das Erbe des Jungen, vermutlich auch über den geheimnisvollen Gegenstand, von der das Vögelchen – Bischof Fulco von Toulouse – behauptete, er würde selbst Päpste und Könige in Aufruhr versetzen.
    Marcellus atmete schneller, als er in ungewohnter Eile den Hof überquerte. Selbst Päpste und Könige!

2.

    Sancha von Toulouse hatte gute Ohren. Obwohl sie ein Stück vom Kamin entfernt am langen Marmortisch saß, auf einer der mit warmen Fellen bedeckten Bänke, hatte sie die Aufforderung ihres Schwiegervaters an „den Jungen“, wie sie ihren Gemahl insgeheim nannte, deutlich vernommen: Miraval sollte kommen. Auf der Stelle. Der Troubadour und der Vogt!
    Sanft lächelte sie Roç hinterher, als dieser mit seinem Knappen und den Windhundwelpen den Saal verließ. Obwohl sie ein warmes knöchellanges Gewand aus Barchent mit Fehbesatz trug und obendrein Fellstiefel, fröstelte sie. Es zog im Rittersaal. Der Cers blies wieder, man sah es am Flackern der kurzen Fackeln. In der Nacht hatte es sogar noch einmal Frost gegeben. Als sie am Morgen im Pelz durch die Stadt zur Basilika geritten waren, war die alte Eiche mit einem glitzernden Gespinst überzogen gewesen.
    Sancha warf Leonora einen fragenden Blick zu. Hatte die Schwester Raymonds Aufforderung ebenfalls gehört? Doch Leonora las still weiter in ihrem Brevier, obwohl sie doch bestimmt kaum die Buchstaben unterscheiden konnte, so heftig wie auch die Kerzenflamme zitterte.
    Sancha überlegte: An einen Auftritt Miravals konnte Graf Raymond nicht gedacht haben, denn sie hatte gehört, der Troubadour hätte über Jahresfrist den Schwur getan, nie mehr zu singen, solange Okzitanien nicht von den Franzosen befreit war. Schade, wo er doch früher einmal Leonora als die schönste und beste Frau der Welt besungen hatte ... Sancha warf einen weiteren, jetzt prüfenden Blick auf die Schwester: Schön war sie noch immer. Ein ebenmäßiges Gesicht, die Nase schmal, die Lippen geschwungen und die Augenbrauen so fein wie mit dem Pinsel gezeichnet – während ihre leider dicht und schwarz wie Amselfittiche waren. Ha, nicht einmal Pedro hatte solche Brauen! Aus den Augenwinkeln heraus musterte sie ihren Bruder, wie er drüben vor dem Kamin leise auf Raymond einredete. Er hatte ein wenig zugenommen. Sein blaues, silberbesticktes Wams spannte über dem Leib. Dennoch sah er wie immer stattlich aus, königlich, was auch am golddurchwirkten Überwurf lag, der kunstvoll um seine Schultern geschlungen war. Allerdings: Der Zopf war ab. Sein schwarzes Haar fiel ihm nur noch bis knapp auf die Schultern. Angeblich hatte er es auf Wunsch von Marie abschneiden lassen, obwohl er seine Frau doch gar nicht mochte.
    Nachdenklich spielte sie mit der Kette, die er ihr mitgebracht hatte: Rosa schimmernde Meeresperlen, die bestimmt gut zu ihrer Haut passten. Leonora hatte er Silber überreicht. Schwere Becher, Teller, Löffel ... Sancha seufzte vernehmlich. Wären da nicht die Sorgen um Toulouse, würde man heute Spielleute eingeladen haben. Schade. Aber nun lernte sie wenigstens Miraval kennen, Raymonds besten Freund. Audiartz nannten sie sich gegenseitig. Audiartz. Jeder betrachtete sich als Schüler des anderen. Lächerlich. Leonora hatte ihr im
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