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Samuel Carver 05 - Collapse

Samuel Carver 05 - Collapse

Titel: Samuel Carver 05 - Collapse
Autoren: Tom Cain
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hieß Magda, aber alle nannten sie Ginger, was bei ihren Sommersprossen und den feuerroten Haaren sofort einleuchtete. Sie hatte weit auseinanderstehende graublaue Augen, weiche, leicht aufgeworfene Lippen und ein Grübchen an der Nasenspitze. Sie gestand, »um die vierzig« zu sein, sah aber nicht älter aus als achtundzwanzig und arbeitete, wie sie sagte, in der Unternehmensfinanzierung. Carver fuhr einen Leihwagen, einen kleinen japanischen Jeep. Er hatte in der Autoschlange im Hafen von Piräus, die auf die Fähre nach Mykonos wartete, neben Gingers Porsche Boxster gestanden, beide Wagen mit offenem Verdeck. Nach ein paar interessierten Blicken hatten sie eine Unterhaltung angefangen und festgestellt, dass sie beide, zwei ungebundene Erwachsene, ein paar Wochen auf den ägäischen Inseln Urlaub machten. Da bot es sich an, sich zusammenzutun und mal zu sehen, wie das funktionierte. Bislang schien es ziemlich gut zu laufen.
    »Danke«, sagte Carver, »aber ich bleibe hier und genieße das Panorama.«
    »Ah ja«, sagte Ginger verständnisvoll lächelnd. »Die berühmten Windmühlen.«
    »Genau.« Carver hielt seine kühlen grünen Augen auf Ginger gerichtet, während sie in knappen Daisy-Duke-Shorts, die kaum eine Frau ihres Alters so gut tragen konnte, zwischen denTischen des Freiluftrestaurants hindurchging. Er schmunzelte, als ihm auffiel, dass noch andere Männer hinter ihr hersahen. An der offenen Tür, die zur Küche führte, stand ein Kellner gegen das Aquarium gelehnt, in dem Fische und Hummer schwammen, und nickte Ginger zu.
    Das Lokal, in dem sie zu Mittag aßen, hieß Little Venice. Die Tische standen direkt an der hüfthohen Ufermauer, wo ihnen ab und zu Gischttröpfchen ins Gesicht spritzten. Ginger war jetzt fünfzehn Meter weit weg, hockte mit der Kamera vorm Gesicht vor dem Pelikan. Den schien ihre Gegenwart nicht im Geringsten zu beunruhigen. Ein paar Sekunden lang posierte er wie ein erfahrener Profi, dann riss er den Schnabel auf, unter dem der ledrige Kehlsack hing wie das Doppelkinn eines fetten Menschen, und wartete auf eine Belohnung.
    Die erste Kugel durchschlug seinen Hals und riss ihm den Kopf weg. Die zweite, dritte und vierte trafen Ginger unter leuchtend roten Eruptionen in die Brust und warfen sie zu Boden, wo sie reglos auf dem Rücken liegen blieb. In den Nachhall der Schüsse mischten sich panische Zurufe und Schreie und das Klappern von Stühlen und Tischen, als die Gäste hastig flüchteten. Carver blieb ruhig und prägte sich die zwei Schützen ein: einer groß, blond, weites blaues Hemd, Jeans; der andere kleiner, dunkler, ganz in Schwarz; beide mit Handfeuerwaffe. Carvers erster Impuls war, zu Ginger zu laufen, doch die Schützen waren jetzt nur noch ein paar Meter von ihr entfernt, sodass es glatter Selbstmord wäre. Sie würden ihn niederschießen, ehe er auch nur in Gingers Nähe gelangte.
    Die beiden Männer sahen sich auf der Restaurantterrasse um, als suchten sie jemanden, und Carver wartete nicht ab, ob es dabei um ihn ging. So langsam und unauffällig wie möglich duckte er sich und kroch unter dem Tisch hindurch, der direkt hinter ihm stand. Ringsherum drängten sich kriechende Leutein Richtung Ausgang. Männer stießen Frauen und sogar Kinder gedankenlos beiseite, wenn die Patina zivilisierten Verhaltens aufbrach und der Selbsterhaltungstrieb durchkam.
    Eine khakifarbene Baseballkappe lag verloren am Boden. Carver riss sie an sich und setzte sie auf, um seine kurzen dunklen Haare zu verdecken und seine Silhouette zu verändern. Als Verkleidung war das nicht viel. Aber alles, was das Wiedererkennen unter den vielen Touristen auch nur geringfügig erschwerte, würde ihm nützen.
    Natürlich konnte er nicht wissen, ob sie es wirklich auf ihn abgesehen hatten. Vielleicht war Ginger das primäre Ziel gewesen oder auch einfach nur die Unglückliche, die am nächsten gewesen war, als die Täter das Restaurant betraten. Doch das Leben hatte Carver gelehrt, immer das Schlimmste anzunehmen und danach zu handeln. Auf diese Weise wurde er nur angenehm überrascht.
    Zwei weitere Schüsse fielen. Die Fluchtbewegungen der Leute wurden verzweifelter. Wie es sich anhörte, waren die Täter bis unter die Markise vorgedrungen, die die Tische zwischen dem Küchentrakt und der Ufermauer überspannte. Sie trieben, wie er gerade begriff, die Menschenmenge in eine bestimmte Richtung. Demnach hatten sie ein Ziel im Kopf, eine Stelle, wo die Schar sich teilen und die Zielperson ausgesondert
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