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Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)

Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)

Titel: Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
Autoren: Emil Sommer
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hinauf und hinab, wie im vergangenen Sommer, als ich den größern Theil der Sagen mir auf den Landstraßen und in Dorfschenken erzählen ließ. Und das gerade ist ja ein Reiz der Wissenschaft, die Sie mit begründet haben, daß sie nicht bloß aus Büchern Bücher macht, sondern von der Weisheit, die auf den Gassen schlendert, noch so viel lernen kann und aus manches Schäfers Munde werthvolle Scholien für Werke des Alterthums empfängt, deren Inhalt noch in vorgeschichtliche Zeit hinaufreicht.

    Sie werden es nicht tadeln daß ich einige Sagen und Märchen aufgenommen habe, die schon aus andern Gegenden mitgetheilt sind. Bei den Sagen ist doch wenigstens zu lernen daß sie auch hier vorkommen: die bereits bekannten Märchen aber enthalten, wie ich sie gebe, einige neue Züge, und sie gewähren, wenn man sie mit den andern Fassungen vergleicht, wiederum einen Blick in die sinnige Weise, in welcher das Volk, an der altererbten Poesie mit unvergänglicher Lust fortdichtend, die alten Züge immer wieder zu neuen Gestalten verbindet.

     

    Halle.

     

    E. Sommer.

     

Sagen.
     

1. Otto der Rothe im Kiffhäuser und zu Quedlinburg.
      Mündlich aus Helfta bei Eisleben und aus Halle.

     

    Kaiser Otto mit dem rothen Barte gerieth mit den Geistlichen in Streit, und da machten ihm die Reichsgeschäfte bald keine Sorgen mehr. Man sagte dem Volke, er sei plötzlich gestorben, und veranstaltete ein feierliches Begräbniß; doch der Kaiser lag nicht im Sarge, sondern schmachtete in einem Gefängniß. Und als er nach vielen Jahren starb, fand sein Geist keine Ruhe im Grabe, sondern irrte lange umher, bis er sich den Kiffhäuser zur Wohnstatt erkor.

    Nun zogen einst Musikanten durch das Thal am Kiffhäuser und spielten vor allen Häusern; doch nirgends empfingen sie eine Gabe, so daß sie sich den ganzen Tag vergebens gemüht hatten. Da sprachen sie am Abend »Wir wollen dem Kaiser Otto ein Ständchen bringen: vielleicht schenkt er uns Etwas .« Und sie spielten vor dem Berge das schönste ihrer Stücke auf; und als sie fertig waren, kam des Kaisers Kastellan und überreichte jedem einen grünen Zweig. Die Musikanten aber warfen die Zweige weg und lachten. »Wenn wir nicht mehr hätten verdienen wollen« sprachen sie, »solch kaiserliche Gnade hätten wir auch sonst schon finden können .« Nur einer steckte sich den Zweig an den Hut und sagte »So habe ich doch ein Andenken an den Kaiser Otto .« Und als sie Abends spät in die Herberge kamen, war der Zweig auf dem Hute des Musikanten zu eitlem Golde geworden, und der arme Musikant war nun für sein Leben ein reicher Mann. Wie die andern das sahen, eilten sie zum Berge zurück und suchten im Mondscheine nach ihren Zweigen; doch die Zweige waren verschwunden. Am folgenden Morgen spielten sie wieder vor dem Kiffhäuser und spielten drei ganze Tage hindurch; doch der Kastellan des Kaisers brachte ihnen Nichts zum Dank.

    Ein armer Schäfer hatte gehört wie der Musikant durch das Geschenk des Kaisers so reich geworden war, und er trieb nun immer auf den Kiffhäuser und dachte »Wenn ich nur den Weg wüßte, der in den Berg zum Kaiser Otto führt: da er ein so liebreicher, wohlthätiger Herr ist, so würde ich ihm meine Armuth klagen, und er würde sich gewiß meiner annehmen.« Und wie er einst auch wieder so bei sich dachte, bemerkte er vor seinen Füßen eine Fallthür, die er nie zuvor gesehen hatte. Er öffnete sie und stieg eine lange Treppe in den Berg hinab bis in einen weiten, hochgewölbten Saal. Dort saß der Kaiser Otto mit seinem langen rothen Bart an einem großen steinernen Tisch, und um ihn her saßen viele hundert Ritter und Schildknappen in voller Rüstung. Schüchtern blieb der Hirt am Fuße der Treppe stehen, doch der Kaiser winkte ihm freundlich und sprach »Ich weiß schon weshalb du kommst. Hier nimm dir so viel du brauchst, und wenn du heim kommst, grüß dein Weib und deine Kinder von mir .« Und damit wies er auf einen Haufen glühender Kohlen, der in einem Winkel lag. Der Hirt beugte sich ängstlich über die Kohlen, doch er wagte nicht sie anzurühren. Da lachte der Kaiser und rief »Greif nur zu; es brennt nicht. Doch nimm nicht zu wenig .« »Ja zu wenig !« dachte der Hirt, »wenn nur was zu nehmen wäre. Um Kohlen zu verschenken und arme Leute auszulachen braucht man kein Kaiser zu sein .« Doch weil er sich fürchtete zu widersprechen, füllte er seine Hirtentasche mit Kohlen, verneigte sich tief vor dem Kaiser und seinen Rittern und Knappen
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