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Saftschubse - Lies, A: Saftschubse

Saftschubse - Lies, A: Saftschubse

Titel: Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
Autoren: Annette Lies
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Und weil um diese Zeit gerne ein paar Nachbarn mit Migrationshintergrund in der Agentur vorbeikommen und die Laptops aus den Büros räumen. Leihweise, versteht sich. Julian selbst geht gerne um 18:00 Uhr nach Hause, um mich nicht in meinem »kreativen Fluss zu behindern«.
    Höchste Zeit für eine Veränderung! Keine kleine wie Karamellsirup in ein Heißgetränk zu gießen, aber auch keine so große wie eine Nasenscheidewandkorrektur. Mehr so etwas wie eine elegante Wende beim Segeln. So sehe ich das jedenfalls.
    Vom Stöbern durch online bestellbare Reiseliteratur wird meine Sehnsucht nach einem intensiveren Leben auch nicht besser, sondern eher noch größer. Ich sitze in der nächtlichen fast leeren Agentur und klicke mich durch Fotos von Rom, Paris, der Mecklenburgischen Seenplatte und Französisch-Polynesien. Am liebsten sind mir Orte, für die es einen Lonely Planet gibt, wie zum Beispiel Galapagos oder eben die Komoren.
    Beim Anblick von Reisfeldern, frei stehenden chinesischen Bambushütten und Lachs fischenden Grizzleys in British Columbia bin ich mir endgültig sicher: Wenn ich nicht jetzt sofort im Juli etwas sehr Internationales oder zumindest Spannendes tue, wie etwa Kugelfisch zu essen, wird mein Lebenslauf für immer eine belanglose Dokumentation einer typischen Ruhrgebietskindheit mit Schüben akuter Bronchitis und Riester-Raten sein.
    Ich hole die fast fertige Kampagne für Industrieparkett aus dem Drucker, von der unser Kreativdirektor wollte, dass sie den Kunden noch stärker »emotional abholt«. Man munkelt, dass es der alternde Sonnenbankmann war, der unter seinen Baggy Pants inzwischen standesgemäß Bugatti-Feinripp trägt, der in besseren Tagen das schwimmende Milky Way erfunden hat. Ich lege alles auf Julians Schreibtisch.
    Während der Dobermann längst fest schläft, werde ich heute Nacht die Weichen für meine glorreiche Zukunft stellen. Ich weiß noch nicht, wohin, aber ich weiß, dass ich hier raus muss! Ich werde nicht länger in die Kaffeeküche gehen, sondern dahin, wo die Bohnen für Kaffeevollautomaten herkommen , jawohl! Elfenbeinküste muss es mindestens sein.
    Der Cursor blinkt hochmotiviert. Zu dumm, dass Suchmaschinen einem immer noch vorsintflutlich abverlangen, einen Suchbegriff einzugeben, bevor die Maschine hilfreiche Websites ausspuckt. Mal sehen, was bei den Stichworten »Spaß« herauskommt.
    Kurzfristig wäre eine klassische Midlife-Crisis-Aktivität wie Bungeespringen von einer Brücke der transsibirischen Eisenbahnstrecke sicherlich eine Ablenkung, langfristig allerdings wird es einer Tätigkeit bedürfen, die meinen Serotoninspiegel hebt, ohne dass ich dabei kopfüber hänge. Allerdings verspüre ich auch keine große Lust, wieder bei null anzufangen und als Praktikantin Konferenzräume einzudecken und neuen Toner zu besorgen. Geschweige denn, dass ich genug Geld besitze, um eine erneute Ausbildung zu finanzieren.
    Und wenn ich mich schon von allem Erreichtem lossage, dann nur für etwas, das noch cooler ist als in einer Branche zu arbeiten, in der man sich glaubhaft mit Visitenkarten als »Vicepresident Creative Needs Worldwide«, ausweisen kann, obwohl man vom Hals abwärts tätowiert ist. Wenn ich auch diesmal etwas Aufregendes mache, werde ich mir nervenaufreibende Diskussionen mit meinen Eltern ersparen, die gerne betonen, dass ich in einer Topkreativagentur arbeite, die mal Titelstory im Spiegel war.
    Hinderlich ist nach wie vor nur, dass mir kein Suchbegriff einfällt, der alle diese Überlegungen in einem Wort zusammenfasst. Ich schließe die Seite des Fun-Sport-Anbieters. Ohnehin gibt es einen Unterschied zwischen »aktiv bis ins hohe Alter« und »suizidgefährdet«. Mit dem Studiosus-Rucksack durch Tibet? Ja. Als Proband in einer Studie für unerforschte Impfstoffe? Nein. Ich will leben , nicht gleich sterben. Ein Geistesblitz durchzuckt mich. Ich versuche es mit einem ebenso simplen wie präzisen Wort und lande einen Volltreffer.
    Nachdem ich Animateur in einer englischen Bettenburg im Norden Mallorcas für mich ausschließe, öffnet sich mir nach der Eingabe von Traumjob eine Homepage, die ich mit denselben geweiteten Pupillen bestaune wie einst das Kinderparadies eines schwedischen Möbelanbieters, der Aquarien mit bunten Bällen für Kinder bereitstellt.
    Alles daran spricht mich an: Von der stilvollen Aufmachung der Seite über die schicken Uniformen, bis hin zu der Tatsache, dass die Ausbildung nur drei Monate dauert und noch dazu vergütet
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