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Saftschubse - Lies, A: Saftschubse

Saftschubse - Lies, A: Saftschubse

Titel: Saftschubse - Lies, A: Saftschubse
Autoren: Annette Lies
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ist. Was will der Arzt also hier wissen?
    Dr. Renner scheint zum Ende seiner Aufzeichnungen zu kommen. Ich wette, die einzigen Filme, die er schaut, laufen auf Monitoren im OP. Was natürlich auch nicht einer gewissen Dramatik entbehrt …
    Im Raum ist es weiterhin still, nur leises Knacken aus dem Eingangsbereich ist zu hören, unter den Füßen der gummibesohlten Arzthelferinnen. Sie dürfen auf der Arbeit orthopädisch wertvolle Sandalen mit Fußbett und Korkanteil tragen, während bei mir High Heels quasi zur Grundausstattung gehören.
    Dr. Renner wendet sich mir zu, nimmt die Hände von der Tastatur und legt sie andächtig ineinander wie ein Tagesschausprecher. »Meine Damen und Herren«, könnte er sagen, »Charlotte Loos ist erkrankt. Die Achtundzwanzigjährige, die einen (Un-)Ruhepuls von einhundertfünfzig hat, arbeitet seit vier Jahren bei Skyline , einer der renommiertesten Linienfluggesellschaften Deutschlands. Loos war auf zahlreichen nationalen und internationalen Flügen tätig und wurde bekannt durch ihr Engagement in der Economy-, Business- und First Class.«
    Jetzt, da er bereit für eine Antwort scheint, versuche ich krampfhaft, erwähnenswerte Stressfaktoren auszumachen, wegen derer ich auf dem Stopp in Montreal dem Eishockey-Match der Pittsburgh Penguins in Flip-Flops beigewohnt habe. (Kam mir klimatisch vor wie die Emirate im August. Aber welche Frau geht bitte gleich zum Arzt, nur weil sie die Einzige auf der Welt ist, die grundsätzlich nicht mehr friert? Das ist, als würde man die Weltherrschaft ablehnen.)
    Spontan fällt mir da die Schneider-Schnepfe ein, der ich die aufdringliche Betonung meines gebärfreudigen Beckens durch eine mehr als gut sitzende Uniform in Size Zero verdanke. Und der »Baby-Mann«, der mir in Barcelona auf die Schulter getippt und angemerkt hat, ich würde nur dumm rumstehen statt zu arbeiten. Und meine spektakuläre Flucht von der Yacht von Joseph Mizrachi, dem First Class-Passagier … – nun ja, vielleicht war das ja ein kleines Trauma.
    Sicherlich war es meiner inneren Balance auch nicht zuträglich, dass ich meine Calvin-Klein-Pumps neben diesem entwürdigenden Fußabtreter-Igel in Moosburg abstellen musste. Und die Leute, die im Flieger ihre Tabletts stapeln, stressen mich natürlich regelmäßig. Die passen dann nämlich nicht mehr untereinander in den Trolley, es sei denn, man nimmt die mit Schokopudding und Salatdressing beschmierten Schälchen wieder auseinander und verteilt sie erneut flach auf die einzelnen Tabletts, tunlichst ohne dass der Gast es sieht und sich bloßgestellt fühlen könnte. Reicht das für ein Trauma ?
    »Hatten Sie denn besonders viel Stress in letzter Zeit?«, versucht Dr. Renner jetzt, mir endlich eine Antwort zu entlocken.
    Also, beim Stichwort Stress , da sieht die Sache schon anders aus! Ich entscheide auf der Stelle, dass es durchaus als Stress durchgeht, wenn mir ein Japaner am helllichten Tag im öffentlichen Personennahverkehr meine private Zeitschrift entwendet hat. Weil er meinte, dieser Service gehöre schon zum Flug. (Noch dazu nicht irgendeine, sondern ein renommiertes Promi-Magazin mit Vierfarbdruck, Pröbchen des neuesten orientalisch-floralen Duftes, extra mattierendem Jetlag-Make-up und exklusiven Fotos des neuesten Brangelina-Babys!) Allein bei der Erinnerung daran bin ich noch wie gelähmt.
    Und dann die unerfreuliche Sache mit Malte auf dem Kilimandscharo, als ich lediglich versucht habe, ein Mindestmaß an Zivilisation zu erzeugen, indem ich mit dem Campingkocher einen Latte macchiato zubereiten wollte. Und diese beschissene kleine Plastikkarte, wegen der ich am Times Square mein Hotel nicht wiedergefunden habe …
    Jetzt weiß ich überhaupt nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen. Ich entscheide mich Dr. Renner gegenüber für eine kompakte anamnesefreundliche Zusammenfassung des Erlebten, die in die letzte freie Ecke meiner Krankenakte passt:
    »Ja, ich hatte Stress!«
    Deutlich und voller Inbrunst hallt dieses Bekenntnis durch das angenehm leere Behandlungszimmer. Plötzlich fühle ich mich schuldig, weil bestimmt jede Menge andere Leute im Wartezimmer sitzen, mit nichts als dem Lesezirkel.
    Dr. Renner aber scheint zufrieden und wendet sich wieder der Tastatur zu. Neben seinem Karohemd und einer Informatiker-Brille, die sicher nicht aus modischen Gründen schwarz umrandet ist, besitzt er zusätzlich einen Doktortitel in Chemie, das habe ich zuvor recherchiert, und irgendwie beruhigt es mich.
    In
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