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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl
Autoren: Brent Ghelfi
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klingt angestrengt und zweifellos infolge einer durchzechten Nacht ohne einen Stolichnaya am Morgen danach. »Tja, das Geschäft ist hart.«
    »Kann ich etwas für dich tun?«
    Genau das, was ich brauche. »Die Briten kommen«, sage ich, aber er scheint den negativen Unterton zu überhören.
    »Ganz recht. Zu deinen Diensten.«
    »Besorg mir einfach weiter Kunden.«
    »In Ordnung.« Er räuspert sich. Es klingt wie ein kalter Motor, der sich warm hustet. »Was das betrifft, wirst du erfreut sein zu hören, dass ich für heute Abend jemanden habe. Schweizer Kongressteilnehmer mit gemeinsamen Interessen.«
    »Nur Drogen?«
    »Auch Jungs und Mädchen.«
    Er klingt, als täte es ihm leid. Er kennt meine Skrupel, so dumm sie auch sein mögen. Letztendlich ist es doch egal, wer das Geld macht. Ran müssen die Kinder so oder so.
    Ich bleibe auf einem Hügel stehen, das platt gedrückte Gras leuchtet wie nasse Jade. Obwohl es Anfang Mai ist, weht der Wind eisig über die Moskwa und krümmt die Wipfel der stattlichen Birken, die sich entlang der Uferstraße in Richtung der emporragenden Türme der Universität aufreihen. Industriedunst verwischt das Stadtbild. Die Spitzen der anderen »Sieben Schwestern« Stalins durchbohren den Dunstschleier wie aufgerichtete Stilette. Mit Gromow werde ich fertig. Ich weiß, dass ich ihn relativ leicht loswerden kann. Aber er ist einer von Maxims Laufburschen, und als Oberhaupt der Azeri Mafia kann Maxim meine Geschäfte aus einer Laune heraus zerschlagen.
    »Bist du noch dran, Volk?«
    Ich knirsche mit den Zähnen. »Wir treffen uns um zehn im National Club und bereden die Details«, sage ich. Meine Brust zieht sich zusammen, und plötzlich habe ich das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen.
    »Ausgezeichnet.« Er ist wieder bei Kräften, wahrscheinlich rechnet er sich seine zwanzig Prozent Anteil aus.
    Ich beende das Gespräch, humple auf meinem pochenden Stumpf zum Mercedes, steuere den glänzenden schwarzen Wagen in den dichten Verkehr und bereue schon meine Entscheidung. Das Handy klingelt erneut.
    »Ja?«
    »Volk?«
    »Wer will das wissen?«
    »Hier ist Arkadij.«
    Es ist einige Jahre her, seit ich das letzte Mal von Arkadij Borodenkow gehört habe - ich war mit ihm zusammen im Waisenheim und später in einer Besserungsanstalt für Jungs an der Ostsee. Ein Kindheitsfreund, an Orten, wo Freunde rar sind. Und wie ich zuletzt gehört habe, ein Ecstasy Dealer und Gelegenheitshehler in St. Petersburg. Schmächtig, langes blondes Haar, zu schwach für alles, was weiter oben spielt.
    »Was ist los?«, frage ich.
    »Ich hab was Nettes für dich. Etwas, wo Muckis, Mumm aber vor allem Köpfchen gefragt sind. Da dachte ich an dich.«
    Ich bahne mir meinen Weg durch den Verkehr und durch empörte Fußgänger auf der Kremlevskaja Straße, mache einen illegalen U-Turn, biege direkt danach scharf rechts ab und rattere über das unebene Kopfsteinpflaster am Rande des Roten Platzes. Zu meiner Linken taucht die Basiliuskathedrale auf, deren bunte Kuppeln wie Softeisstrudel aussehen. Die leuchtenden Farben und die Menschenschlangen vor der Kathedrale scheinen Jahrzehnte religiöser Unterdrückung in der Sowjetunion zu verhöhnen.
    »Erzähl weiter.«
    »Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll.«
    Ich bin nicht in der Stimmung lange herumzudrucksen, nicht solange der Abschaum des Deals, den ich gerade mit Nigel gemacht habe, noch in meinem Mund klebt. »Spuck’s aus.«
    »Was verstehst du von Kunst, Volk?«

2
    Dieselbe Frage, gestellt von zwei verschiedenen Männern, verfolgt mich den restlichen Nachmittag über. Die Dämmerung zieht sich um diese Jahreszeit bis nach neun hin und lässt die Tage endlos erscheinen. Ich fülle die Zeit mit Schreibarbeit im Keller von Vadims Café.
    Um sieben mache ich mich wie alle zwei Wochen auf den Weg, verwitwete Rentnerinnen in ihren winzigen Behausungen, Frauen, die ich von einer langen Liste ausgewählt habe und die alle ihre Männer in russischen Kriegen verloren haben, zu besuchen. Heute Abend liegen drei Stopps in grauen Häusern aus der Chruschtschow-Ära an, die sich vom früheren stalinistischen Wohnungsbau durch eine schäbige Beton-Glas-Konstruktion, niedrige Decken und ausgeblichene grüne Flure unterscheiden. Anders als seine Nachfolger setzte Stalin auf kalte steinharte Beständigkeit.
    Die ersten beiden erschaudern in einer Mischung aus Dankbarkeit und Angst. Dankbar für die dreitausend Rubel, die ich in ihre zitternden Hände drücke, ein
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