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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee
Autoren: Polina Daschkowa
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Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. In ihren seltenen freien Minuten wußte sie nicht, womit sie sich beschäftigen sollte. Sie versuchte zu lesen, glitt mechanisch mitden Augen über die Seiten eines Liebesromans oder eines Krimis, merkte irgendwann, daß sie gar nicht verstand, wovon die Rede war, warf das Buch hin, schaltete den Fernseher ein, aber auch dort, auf dem Bildschirm, war alles langweilig und ohne Sinn.
    Natascha hatte das Herumlaufen satt und setzte sich in den Sessel. Sollte Sanja doch mal versuchen, den Kleinen stundenlang in den Schlaf zu wiegen! Dieser gemeine Kerl, dieser widerliche Schuft! Der hockt jetzt mit irgendeiner aufgebrezelten Nutte in der Kneipe oder womöglich schon in ihrer Wohnung auf dem Sofa. Gedämpftes Licht, leise Musik, auf dem Couchtisch stehen Kaffee und Likör. Die Nutte streift die Schuhe ab und zieht graziös die langen Beine hoch. Sanja legt ihr vorsichtig die Hand aufs Knie. Igitt, wie ekelhaft!
    Natascha schniefte und blickte Dimytsch an. Das Kind war fest eingeschlafen. Sie brachte es in sein Bettchen, plumpste zurück in den Sessel und machte den Fernseher an. Sofort erschien das müde, erschöpfte Gesicht Artjom Butejkos auf dem Bildschirm.
    »Hallo, du Mistkäfer, lange nicht gesehen. Wieso läßt man dich eigentlich immer noch auf die Fernsehzuschauer los? Wer interessiert sich schon für deinen widerlichen Tratsch?«
    Als sie merkte, daß sie laut mit dem Fernseher sprach, schaltete sie das Gerät sofort aus und begann zu weinen. Die Fratze von Artjom Butejko hatte ihr endgültig die Laune verdorben. Träge erhob sie sich, schlurfte in die Küche und stellte den Wasserkocher ein, obwohl sie eigentlich gar keinen Tee wollte.
    Da klingelte plötzlich das Telefon. Sie zuckte zusammen und stürzte mit solcher Eile zum Apparat, als erwarte sie einen wichtigen Anruf. Aber als sie die Stimme ihrerFreundin Olga Sitnikowa hörte, sank sie gleich wieder in sich zusammen.
    »Ach, du bist das? Hallo.«
    »Ist der Kleine schon im Bett?« erkundigte sich Olga sachlich.
    »Mhm. Gerade eingeschlafen.«
    »Ist dein Mann zu Hause?«
    »Nein.«
    »Eine merkwürdige Frau bist du«, seufzte Olga, »alles läßt du ihm durchgehen.«
    »Was meinst du mit alles?«
    »Eben alles. Mein Andrjuscha war auch immer ganze Abende weg, ich hab nie was gesagt, ich dachte, er arbeitet, schuftet für die Familie, schont sich nicht. Du weißt ja selber, wie es geendet hat.«
    Es hatte wirklich sehr häßlich geendet. Vor einigen Monaten hatte Andrjuscha Olga und ihre zweijährige Tochter verlassen.
    »Sanja mußte geschäftlich weg. Er hat momentan große Probleme wegen der Krise«, widersprach Natascha ohne rechte Überzeugung.
    »Geschäftlich, natürlich … Hör mal, ich hab neulich Swetka Berestnjowa getroffen, weißt du, wo die jetzt arbeitet? Im ›Harlekin‹. Als Striptease-Tänzerin, stell dir das vor.«
    »Ernsthaft? Die mit ihren kurzen Beinen?«
    Träge und boshaft zogen sie eine Weile über die Figur von Swetka her, dann kam Olga wieder auf ihr Lieblingsthema zu sprechen – die Niedertracht der Männer.
    Früher hatte Natascha immer versucht, solche Gespräche abzubrechen, hatte irgendeinen Vorwand erfunden: Dimytsch ist aufgewacht, die Milch ist übergekocht. Aber jetzt war sie so traurig und fühlte sich so einsam, daß sie sogarüber Olgas giftiges Geschwätz froh war. Wenigstens eine lebendige Stimme im Hörer.
    »Hast du denn nichts gemerkt? Das spürt man doch, wenn der Mann eine andere hat«, sagte Olga und stellte insgeheim fest, daß sie diese Frage zum ersten Mal nicht aus Mitleid, sondern aus Neugier stellte. »Ich habe es doch auch mitgekriegt. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Es ist so kränkend und so erniedrigend! Und was hätte ich schon ändern können? Als es dann nichts mehr zu vertuschen gab, bin ich ins andere Extrem gefallen – habe gebettelt, gefleht, hysterische Szenen gemacht, ihn erpreßt und versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Davon wurde es nur schlimmer. Wenn alles noch mal von vorn anfinge, würde ich mich ganz anders verhalten. Ich würde so tun, als ob es mir egal wäre. Oder noch besser, ich würde mir selbst einen anlachen. Dann kann dieser Schuft sich mal Gedanken machen, ob er wirklich gehen will oder nicht. Das rate ich übrigens auch dir.«
    »Was?«
    »Fang eine Affäre an. Mach ihn eifersüchtig. Um so eher kommt er wieder zurück. Weißt du, die Männer wirken nur von außen so klug und kompliziert. Tatsächlich ist alles ganz
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