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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee
Autoren: Polina Daschkowa
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herum.
    Sanja schluckte nervös. Das Blut stieg ihm in die Wangen, er stand verwirrt da und wußte nicht, was er tun sollte – dem betrunkenen alten Mann beim Aufsammeln des Geldes behilflich sein? Vorsichtig darüber hinwegschreiten und esnicht weiter beachten? Oder vielleicht rasch auf die Scheine treten, die unmittelbar vor seinem weißgeränderten Schuh lagen?
    Verflucht, bin ich denn völlig bescheuert, dachte Sanja, fing in dem riesigen Spiegel seinen bösen, gehetzten Blick auf und begegnete gleich darauf dem ruhigen Lächeln der Tänzerin. Das Mädchen stand neben ihm, blickte in den Spiegel und ordnete sein Haar. Der Oberkellner sammelte die Geldscheine auf.
    »Sie müssen dorthin, junger Mann«, hörte Sanja den Oberkellner sagen, und ihm schien, als läge in seiner Stimme, im nachlässigen Kopfnicken zur Tür des Separées eine Spur von Verachtung. Nicht daß dieser Lakai seine Gedanken hatte lesen können. Er hatte einfach nur das Salz auf Sanjas Schuhen bemerkt, als er über den Fußboden kroch. Vornehme Leute, die er in diesem vornehmen Etablissement gastfreundlich empfing, pflegten saubere und trockene Schuhe zu tragen. Sie fuhren Auto und latschten nicht durch den Dreck.
    Sanja atmete tief ein, hielt die Luft an, blies die Backen auf und stieß den Atem leise pfeifend wieder aus. Dann setzte er ein hochmütiges, ruhiges Lächeln auf, so wie ein Räuber eine schwarze Strumpfmaske überstreift, und ging entschlossen auf die schwere Samtportiere zu.
    In dem geräumigen Zimmer saßen an einem Glastisch, unter dessen Platte sich ein Aquarium befand, zwei Männer. In dem Aquarium schwammen richtige Fische. Als Sanja eintrat, drang der Lärm des Orchesters ins Zimmer. Aber sobald die Tür sich geschlossen hatte, war es wieder still. Nur die Klimaanlage summte gleichmäßig und saugte den Tabakqualm ein. Es roch nach Ozon, wie nach einem Gewitter.
    »Gut siehst du aus, hast du zugelegt?« begrüßte ein dicklicher junger Mann in einer Wildlederjacke Sanja.
    Wowa Muchin hatte einige Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet und dann versucht, einen eigenen Betrieb aufzumachen, aber ohne Erfolg. Überfälle durch die Mafia, betrügerische Konkurrenten und nicht weniger betrügerische Kompagnons brachten ihn zum Scheitern. Er hatte daraufhin dem freien Unternehmertum adieu gesagt und war Masseur in einem teuren Sportcenter geworden. Um den Kunden die Lenden durchzuwalken, braucht man viel Kraft. Wowa futterte wie ein Scheunendrescher und ging in die Breite. Seitdem teilte er allen mageren Bekannten männlichen Geschlechts, wenn er sie traf, mit boshaftem Grinsen mit, sie hätten »zugelegt«.
    Sanja nickte, brummte irgendeine Antwort und wandte seinen Blick langsam dem zweiten Mann zu, der zurückgelehnt auf seinem Stuhl saß. Sein Gesicht war im Halbdunkel verborgen, Sanja konnte nur die Umrisse seines runden, rasierten Kopfes erkennen, einen kräftigen Stierhals und etwas abstehende Ohren.
    »Hallo.« Eine Hand, kurz wie ein Holzstumpf und mit dicken Fingern, wurde ihm über den Tisch entgegengestreckt. Zwei schwere Brillantringe funkelten auf. Heute morgen, gleich nach dem Gespräch mit Wowa, hatte Sanja sich folgendes zurechtgelegt: Wenn der legendäre Klim ihm beim Treffen als erster die Hand reicht, bedeutet das, der Handel kommt zustande und alles läuft gut.
    Wowa hatte ihn heute morgen völlig überraschend angerufen. Sie hatten sich seit August nicht mehr gesehen. Sanja glaubte zuerst, der Freund wolle ihn um irgend etwas bitten, und wollte das Gespräch schon möglichst schnell beenden. Aber dann lud Wowa ihn ins Restaurant ein, was er noch nie getan hatte. Sein Tonfall war geheimnisvoll-lässig.
    »Klim ist gerade mal wieder aus Deutschland gekommen und hat mich gefragt, ob ich nicht ein paar vernünftige undzuverlässige Jungs für ihn wüßte. Solche, die durch die Krise nicht gleich aus dem Tritt gekommen sind. Ich habe sofort an dich gedacht.«
    Sanja hatte Ernest Klimow, den erfolgreichen Geschäftsmann und Beinahe-Millionär, noch nie gesehen, aber er hörte jedesmal von ihm, wenn er Wowa traf. Muchin kannte Ernest Klimow ein knappes Jahr, und diese ganze Zeit über wurde er nicht müde, verschiedene phantastische Geschichten über ihn zu erzählen. Klim war eine lebende Legende. Er hatte es aus dem Nichts geschafft, vor fünfzehn Jahren war er noch Zigarettenverkäufer gewesen, und heute besaß er eine große deutsch-russische Handelsagentur.
    In den fünfzehn Jahren seiner erfolgreichen
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