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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee
Autoren: Polina Daschkowa
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die roten Flecken in ihrem Gesicht waren verschwunden, das Licht der Tischlampe schimmerte durch ihre leichten, wirren Haarsträhnen, ihr Gesicht erschien ihm wieder zart, fast durchsichtig. Rasch trat er ein, ging durchs Zimmer, küßte Natascha ungeschickt, gleichsam schuldbewußt, auf den Scheitel und streichelte über das warme seidige Köpfchen von Dimytsch.
    »In Schuhen über den Teppich, muß das sein?« warf Natascha träge hin, ohne den Kopf zu heben, und das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand.
    Das reicht! Ich hab den Kanal endgültig voll! fluchte Sanja in sich hinein und ging aus dem Haus. Draußen war nasser, dunkler Dezember.
    Auf dem Hof zog er mit routinierter Geste die Autoschlüssel aus der Tasche und warf sie sich auf die Hand, steckte sie aber sogleich wieder zurück und spuckte fluchend in den schmutzigen Schnee. In seinem Wagen, einem nagelneuen Renault, war vor drei Tagen die Kupplung kaputtgegangen, und er hatte kein Geld für die Reparatur. Er trat auf die Straße und wollte schon die Hand heben, um ein Taxi herbeizuwinken, aber da fiel ihm ein, daß er nur noch drei Fünfziger im Portemonnaie hatte und es unvernünftig wäre, einen davon für das Taxi zu vergeuden. Er mußte nochZigaretten besorgen, und zwar gute, teure. Er rauchte jetzt schon einen Monat die vergleichsweise billigen Chesterfield, die er stangenweise bei einer alten Frau an der Metro-Station kaufte. Heute jedoch war ein besonderer Abend.
    Während er in der Metro an der Tür stand, bemühte er sich, nicht daran zu denken, was er Natascha morgen sagen würde, wenn sie von ihm Geld für Lebensmittel oder Pampers haben wollte. Noch heute früh hatte er verärgert festgestellt, daß in dem hellblauen Karton nur noch fünf Windeln lagen. Früher hatte er solche Kleinigkeiten gar nicht bemerkt.
    Das Restaurant befand sich gleich gegenüber dem Metro-Ausgang. Sanja huschte rasch, mit gesenktem Kopf und ohne nach links oder rechts zu schauen, auf den nächsten Durchgangshof und von dort in die parallele Seitenstraße. Womöglich waren sie ja schon da, aber noch nicht hineingegangen, sondern saßen im Auto oder standen an der Tür. Auf keinen Fall durften sie sehen, wie er aus der Metro kam.
    In der Seitenstraße ließ ihn ein scharfer Stoß des feuchten, stechenden Windes zusammenschauern. Die Kälte ging ihm durch und durch, der leichte Schaffellmantel, den er erst vor kurzem für anderthalbtausend Dollar in einer Filiale von W & L gekauft hatte, schützte nicht gegen das Moskauer Klima. Seine Wildlederschuhe hatten sich mit schmutzigem Eiswasser vollgesogen, weiße Linien von Streusalz zeichneten sich auf ihnen ab.
    Als er auf den hell erleuchteten Eingang des Restaurants zusteuerte, zwang er sich, aufrecht zu gehen und die Schultern zurückzubiegen. Aber das leichte Zittern wollte nicht nachlassen. Schon lange war Sanja nicht mehr so nervös gewesen.
    »Sie werden erwartet«, teilte ihm ein geschniegelter Oberkellnermit und führte Sanja durch den Saal zu einem separaten Raum.
    Im Restaurant dröhnte laute Musik. Ein Live-Orchester spielte eine Variation des letzten Schlagers der beliebten Sängerin Katja Krasnaja. Auf einer runden Plattform vor dem Orchester verrenkte sich mit wabbelndem Bauch ein schwammiges Mädchen in durchsichtigen Pluderhosen und mit silbernen Sternen auf den Brüsten, die groß wie Astrachaner Melonen waren. Das Publikum saß an kleinen Tischen, kaute, trank, schwatzte und lachte fast lautlos, übertönt vom Lärm des Orchesters. Niemand beachtete das Mädchen, doch hinter ihrem schmalen Silbergürtel steckten bereits einige grüne Geldscheine. Unter schlangenartigen Verrenkungen bewegte sich die Tänzerin mit einem schmachtenden, schläfrigen Lächeln an einer Reihe von Tischen entlang direkt auf Sanja und den Oberkellner zu. Plötzlich blieb sie einen Moment stehen und wartete, bis ein älterer Kaukasier Geld aus seinem Portemnonnaie gezerrt hatte. Er war ziemlich betrunken; an seinem Kinn hing ein Tropfen roter Tkemal-Sauce, seine Hände zitterten, das Portemonnaie fiel zu Boden, und ein dickes Päckchen Dollarnoten fächerte sich direkt vor Sanjas Füßen auf.
    Es waren viele, schamlos viele Scheine. Hunderter, alte und neue. Sanja versuchte sie zu zählen. Lieber Gott, was für ein Haufen Geld!
    Noch vor einem halben Jahr hatten solide Leute nie so viel Bargeld bei sich getragen. Sie bevorzugten Kreditkarten. Bei Sanja zu Hause lagen auch noch einige dieser nutzlosen, festen Plastikrechtecke
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