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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee
Autoren: Polina Daschkowa
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einem Prominenten.
    Eine Woche zuvor hatte er zufällig gehört, wie eine der bekanntesten Fernsehmoderatorinnen, Jelisaweta Pawlowna Beljajewa, die auf Kanal Eins ein politisches Magazin leitete, in der Bar des Moskauer Fernsehzentrums Ostankino von ihrem Handy aus ein leises Gespräch führte. Irgend etwas hatte den Reporter sofort stutzig gemacht – war es nun ihr Tonfall oder ihre angespannte Haltung gewesen. Sie hatte nicht gewußt, daß jemand ihr Gespräch belauschte. Artjom hatte mit dem Rücken zu ihr gesessen, noch dazu im Halbdunkel verborgen, und außerdem waren in der Bar viele Leute gewesen.
    »Bitte hör auf … Nein, das will ich nicht … Juri, hör mir bitte ganz ruhig zu … Ich kann nicht, ich habe es versprochen. Halt doch noch ein paar Tage durch«, sagte die Beljajewa und bedeckte dabei den Hörer mit der Hand. »Gut, ich komme sofort nach der Sendung zu dir.«
    Artjom wußte, daß ihre Sendung nachts um halb eins zu Ende war. Er wußte auch, daß der Mann der Moderatorin Michail hieß und daß sie weder Brüder noch Cousins hatte. Ihn packte plötzlich schreckliche Neugier, wen der vierzigjährige Fernsehstar, dieser Ausbund an Wohlanständigkeit, diese treue Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, zu so später Stunde noch besuchen wollte.
    Einen eigenen Wagen besaß Artjom nicht. Er stoppte vorm Fernsehzentrum einen schäbigen kleinen Shiguli, undfür einen Hunderter erklärte sich der Fahrer bereit, ihn bis ans Ende der Welt zu bringen.
    Dem kirschroten Škoda von Jelisaweta Beljajewa durch die leeren nächtlichen Straßen zu folgen war kinderleicht. Der Škoda fuhr ins Zentrum, bog dann in eine Seitenstraße und von dort in einen Hof ein. Butejko bezahlte den Fahrer und schickte ihn fort.
    Durch den Schnee und die Laternen war es im Hof ganz hell. Mit geübtem Auge erspähte Artjom sogleich ein Versteck, einen Spalt zwischen den Garagen, von dem aus man alle Eingänge des solide gebauten Hauses aus der Stalinzeit überschauen konnte.
    Die Beljajewa parkte ihren Wagen ein und war noch nicht ganz ausgestiegen, als schon ein großer, tapsiger Welpe, eine Dobermann-Pinscher-Mischung, auf sie zulief. Der Hund freute sich stürmisch über sie, und fast genauso stürmisch freute sich sein Herrchen, ein stämmiger, untersetzter Mann mit einer Hundeleine in der Hand.
    Artjom hätte beinahe laut aufgeheult. Die Beljajewa und dieser Mann umarmten und küßten sich mitten auf dem leeren Hof. Artjom war kurz davor, den Kopf gegen die Garagenwand zu schlagen. Ausgerechnet jetzt hatte er weder eine Videokamera noch einen Fotoapparat bei sich. Er wußte sehr wohl, das war nicht ihr Haus, nicht ihr Mann und nicht ihr Hund.
    Der Welpe witterte den Fremden und begann die Garage zu verbellen. Artjom trat rasch den Rückzug an. Jelisaweta Beljajewa hätte ihn bemerken können, und das paßte nicht in seine Pläne.
    Seither verbrachte er jeden freien Abend in diesem Hinterhof. Noch ein paarmal bekam er den Mann mit dem Welpen zu Gesicht. Für einen Zehner erfuhr er von der redseligen älteren Briefträgerin, daß der Mann Juri IwanowitschSacharow hieß, dreiundvierzig Jahre alt, Tierarzt und seit langem geschieden war. Ob er Kinder hatte, wußte sie nicht, aber kürzlich habe er sich einen Dobermannwelpen angeschafft. Jelisaweta Beljajewa tauchte jedoch nicht wieder auf.
    Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Mehr als alles auf der Welt wünschte er sich, daß die leidenschaftliche Liebesszene noch einmal aufgeführt würde, dann aber auf dem Bildschirm, in seiner Sendung, und deswegen brachte er es fertig, zehn Nächte hintereinander nicht zu schlafen und mit der gezückten Videokamera in der Hand, vor Kälte bibbernd, in dem leeren Hof zu warten.
    Auch heute hätte sich Artjom, obwohl er zum Umfallen müde war, sofort nach der Sendung wieder auf den Weg zu dem stillen Hinterhof an der U-Bahnstation »Nowokusnezkaja« gemacht. Doch er wußte genau, daß es zwecklos gewesen wäre. Gestern morgen war die Hauptperson seines heißersehnten Skandals für eine Woche nach Montreal geflogen.
    Sämtliche Fernsehkanäle hatten in ihren Nachrichten die offizielle Eröffnung der Internationalen Menschenrechtskonferenz gezeigt. Unter den Mitgliedern der russischen Delegation war eine der prominentesten und charmantesten Frauen Rußlands – Jelisaweta Beljajewa, promovierte Historikerin und politische Kommentatorin bei Kanal Eins. Artjom konnte mit ruhigem Gewissen nach der Sendung nach Hause fahren und sich ausschlafen. In den
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