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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee
Autoren: Polina Daschkowa
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wünschen, daß sie ihre verführerischen Kurven noch viele Jahre lang behält. Nun aber von Schönem zu noch Schönerem. Ein französischer Filmstar, der jahrzehntelang in der ganzen Welt ein Sex-Symbol war, verschwendet heute seine ganze unverbrauchte Liebe auf heimatlose Tiere. Dieser Tage ist die Dame zu uns nach Rußland gekommen, um sich für ein armes Hündchen einzusetzen, das auf der Müllhalde in der reizenden Stadt Schisserow im Gebiet Rostow lebt. Hier ist unser Sonderbericht.«
    Wieder verschwand Artjoms Gesicht, um einem FilmPlatz zu machen. Zum giftigen Kommentar der jungen Korrespondentin sah man die gealterte französische Filmschauspielerin, wie sie einen räudigen streunenden Köter mit Schinkenstückchen fütterte. Anschließend fletschte sie professionell die Zähne in die Kamera, hüllte sich in ihren Nerzmantel und rollte in einem Mafia-Jeep, den ihr die örtlichen Behörden zusammen mit ein paar Bodyguards zur Verfügung gestellt hatten, aus dem Bild.
    »Verzeihen Sie.« Artjom schniefte kurz auf und wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkel. »Was wir gerade gesehen haben, hat mich so gerührt, daß mir unwillkürlich die Tränen kamen. Nun brauchen wir uns um das Schicksal des Schisserower Hündchens keine Sorgen mehr zu machen. Übrigens hat der große Star das Tier großmütig mit dem eigenen berühmten Namen beschenkt. Der Hund heißt jetzt Brigitte, und auf einer Müllhalde wird man ihn nie wieder sehen.«
    Er schniefte noch einmal. Seine Augen tränten tatsächlich, allerdings keineswegs vor Rührung. Er fühlte sich derart zerschlagen, daß er nur mit Mühe bis zum Ende der Sendung durchhielt.
    Nach der schweren Krise, die das Land Ende August erschüttert hatte, hatten die Zuschauer die Fernsehdebatten, in denen nur über gewichtige globale Probleme, finstere Prophezeiungen und die eigenen zerstörten Hoffnungen geredet wurde, gründlich satt.
    »Wir alle brauchen jetzt Entspannung. Wirkliche Entspannung«, versicherte Artjom den Fernsehbossen, die die Krise überlebt hatten.
    Die Bosse reagierten unterschiedlich, die einen billigten sein Projekt, andere zuckten skeptisch die Schultern. Sein Plazet für die Sendung hatte der neue stellvertretende Direktor des Senders erst vor anderthalb Monaten gegeben,aber nicht, weil er den Zuschauern zu mehr Entspannung verhelfen wollte. Er hatte nur einfach begriffen, daß man in einer derartigen Sendung leicht auch die dreisteste Schleichwerbung unterbringen konnte. Nach einer inoffiziellen mündlichen Übereinkunft war Artjom Butejko verpflichtet, dem stellvertretenden Direktor von jedem Beitrag, für den der Sender Geld erhielt, dreißig Prozent abzutreten. Das war leicht verdientes Geld und nicht zu kontrollieren. Denn die Sendung machte Artjom praktisch aus nichts.
    Er hatte das Talent, jedem Ereignis den Beigeschmack des Skandalösen zu geben. Auch den kleinsten Schritt einer prominenten Persönlichkeit konnte Butejko auf eine Weise kommentieren, daß dem Fernsehpublikum die Illusion vermittelt wurde, reich und berühmt würden nur ausgemachte Gauner, dreiste Halunken und lasterhafte Nichtstuer, er aber, der ehrliche, durchschnittliche Zuschauer, der anständige Bürger, müsse nur wegen seiner angeborenen Ehrlichkeit und der fehlenden Beziehungen tatenlos vor dem Bildschirm sitzen.
    Allerdings beherrschten viele die Kunst, derartige Illusionen zu erzeugen und damit Geld zu machen. Tatsächlich waren die skandalösen Details, die die bezahlten Beiträge enthielten, meist Dinge, die die Prominenten dem Publikum selbst mit Vergnügen enthüllten. Artjom war sich darüber im klaren, daß echte Skandale nötig waren, wenn er dauerhaft Erfolg haben wollte. Das Publikum wurde von Jahr zu Jahr schlauer und anspruchsvoller, spürte instinktiv, wo man schwindelte, verlangte immer mehr, etwas ganz Unerhörtes, Verbotenes, Unglaubliches, das eigentlich gar nicht für seine gierigen Augen und Ohren bestimmt war.
    Damit das Interesse an der Sendung nicht erlosch, damit der Zuschauer sich nicht betrogen fühlte, wurde es unumgänglich, den erlaubten Schmutz mit unerlaubtem anzureichernund publik zu machen, was die Prominenten lieber verborgen halten wollten.
    Artjoms Müdigkeit, seine Kopfschmerzen und die tränenden roten Augen waren die Folge mehrerer schlafloser Nächte, die er auf einer Bank in einem stillen Hinterhof im Zentrum Moskaus verbracht hatte, eine kleine Video-Spezialkamera im Anschlag. Wie üblich war er auf der Jagd nach
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