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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde
Autoren: Barbara Lutz
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besseren Verhältnissen. Ich kann nicht mithalten, nicht beim Einkommen, auch nicht beim Nachwuchs, nicht bei den glücklichen Ehen und nicht bei den stilvoll eingerichteten Wohnungen und Eigenheimen im Grünen. Ich nehme an, einige meiner Bekannten halten mich für eine Versagerin. Normalerweise finde ich, dass das ihr Problem sei, aber in der letzten Zeit lief ich Gefahr, ihr Urteil zu übernehmen. Immerhin habe ich keine gesundheitlichen Probleme, dachte ich, als ich nach unserem Abendessen im Tram nach Hause fuhr. Kaum hatte ich mich dabei ertappt, das in allem Ernst gedacht zu haben, machte ich mir wirklich Sorgen um mich. Früher hatte ich keine solchen Gedanken.

3
    Ich ging also eine Woche lang frühmorgens aus dem Haus und kam jeweils spät heim. Trotzdem hätte ich es bemerkt, wenn Juri zurückgekommen wäre. Normalerweise höre ich seine Schritte, ich höre es, wenn er den Wasserhahn betätigt oder wenn sein Radio läuft.
    Am Freitagmorgen meinte ich, über mir Schritte zu vernehmen. Es war halb sechs Uhr in der Früh, trotzdem stand ich auf. Ich horchte nach oben, hörte nun aber nichts mehr. Juris Verschwinden und die verwüstete, offenstehende Wohnung machten mich nervös. Sobald es acht Uhr war, würde ich einen Schlosser anrufen.
    Zwei Stunden später sass ich immer noch in der Küche. Ich trank den Kaffee aus, ich wollte mich in Juris Wohnung umsehen.
    Der Boden war übersät mit Papieren, selbst im Gang konnte ich kaum einen Schritt machen, ohne auf etwas zu treten. Ich nahm ein Blatt in die Hand, Teil einer Seminararbeit für die Uni. In den Zimmern sah es ähnlich aus. Alle Bücher auf dem Boden, die Regale leergefegt, die Schreibtischschubladen offen und ausgekippt, sogar die Klaviernoten waren im Zimmer verteilt. Ich versuchte ein paar Takte zu spielen, aber es fühlte sich schlecht an, und ich liess es bleiben. Ganz offensichtlich war Juri seit dem Einbruch nicht zurückgekehrt. Ich hielt Ausschau nach einem Adressbuch oder einer Namensliste, fand aber nichts. In der Küche entdeckte ich zu meiner Überraschung Juris Mobiltelefon. Halb verdeckt vom Brotkasten war es wohl unabsichtlich liegengeblieben. Ich nahm es an mich und verliess die Wohnung.
    Das Telefon war seit mehreren Tagen nicht benützt worden und der Akku fast leer. Nummern hatte sich Juri keine gespeichert, aber ich notierte mir die letzten Anrufe. Vielleicht wusste ja einer, den er angerufen hatte, wo ich ihn erreichen konnte.
    Ich kam dann aber nicht dazu, Esther meldete sich noch einmal mit der Frage, ob ich für sie die Wohnungsabgabe übernehmen würde. Sie konnte sich bei ihrer Arbeit nicht freimachen. Ich sagte zu und verliess die Wohnung.
    Am frühen Abend war ich zurück. Es vergingen mindestens zehn Minuten, bis ich den Einbruch bemerkte. Ich hatte mir, ausgehungert wie ich war, in der Küche ein paar Brote gestrichen, die Zeitung gelesen und meine Post angeschaut. Aber als ich das Wohnzimmer betrat, fiel mir eine leicht herausgezogene Schublade auf. Eine Schublade, in der ich überflüssige Computerkabel und unpassende Glühbirnen aufbewahre und die ich nie öffne. Ich sah mich um. Die Tür des Wandschrankes im Gang, sie stand seltsam offen. So hatte ich die Wohnung nicht verlassen. Ich ging von Raum zu Raum, zog Schubladen auf, begutachtete die Schränke, sah sogar unter das Bett. Natürlich war niemand da. Aber jemand war in meiner Wohnung gewesen.
    Ich versuchte herauszufinden, ob etwas fehlte. Mein Computer, der wohl wertvollste Gegenstand in der Wohnung, stand auf seinem Platz, und auch der CD -Player war noch da. Dann bemerkte ich es: Der Koffer, Juris Koffer, war weg.
    Ohne viel zu überlegen, ging ich zum Telefon und rief die Polizei an. Ich hatte bereits aufgelegt, als ich mich fragte, was ich mir von ihnen erwartete. Mir war nichts gestohlen worden, und ich hatte eigentlich keine Lust, Polizei in der Wohnung zu haben. Kurz darauf trafen sie aber bereits ein, zwei uniformierte, gelangweilte Männer, die sich die Wohnungstür ansahen und ein paar Fotos machten. Ausser ein paar Kratzspuren, die vielleicht nicht einmal neu waren, konnte ich an der Tür nichts feststellen. Falls es der gleiche Einbrecher war wie bei Juri, so hatte er Fortschritte gemacht.
    Es war den Beamten anzusehen, dass sie einen Versicherungsbetrug vermuteten, als ich erklärte, ein Koffer sei gestohlen worden. Sie verabschiedeten sich, und ich hörte, wie sie im unteren Stock an Türen läuteten und Gespräche mit meinen Nachbarn führten. Ich
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