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Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)

Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)

Titel: Rum Diary: Roman zum Film (German Edition)
Autoren: Hunter S. Thompson
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Genau dieses Gefühl hatte ich, und als ich im Hotel ankam, ging ich sofort ins Bett.
    Es war halb fünf, als ich aufwachte, hungrig und ungewaschen und ohne recht zu wissen, wo ich war. Ich trat hinaus auf den Balkon und starrte nach unten zum Strand. Dort planschten jede Menge Frauen, Kinder und dickbäuchige Männer in der Brandung herum. Zu meiner Rechten befand sich ein weiteres Hotel, dahinter noch eines, jedes mit seinem eigenen überfüllten Strand.
    Ich duschte und ging dann zur Freiluftlobby hinunter. Das Restaurant war geschlossen, also probierte ich es mit der Bar. Sie wirkte bis ins Detail so, als wäre sie komplett aus einem Urlaubsort in den Catskill Mountains eingeflogen worden. Ich saß dort zwei Stunden lang, knabberte Erdnüsse, bestellte Drinks und starrte auf den Ozean. Es waren vielleicht ein Dutzend Leute in der Bar. Die Männer sahen aus wie blasse Mexikaner, mit kleinen schmalen Schnurrbärten und glänzenden Seidenanzügen. Die meisten Frauen waren Amerikanerinnen in fortgeschrittenem
Alter, eine erbärmliche Runde – alle trugen sie ärmellose Cocktailkleider, die an ihnen hingen wie Gummisäcke.
    Ich fühlte mich wie Strandgut. Mein verknittertes Cordjackett war fünf Jahre alt und am Kragen durchgescheuert, meine Hose hatte keine Bügelfalten, und obwohl ich nie auf die Idee gekommen wäre, eine Krawatte umzubinden, war ich ohne anscheinend fehl am Platz. Da ich mich nicht anbiedern wollte, bestellte ich mir keinen Rum, sondern Bier. Der Bartender warf mir einen mürrischen Blick zu, und ich wußte warum – nichts, was ich anhatte, glänzte. Zweifellos war ich ein Spielverderber. Wenn ich es hier zu etwas bringen wollte, würde ich mir Glitzerkram zulegen müssen.
    Um halb sieben verließ ich die Bar und ging hinaus. Es wurde dunkel, und die große Avenida sah kühl und elegant aus. Auf der anderen Seite standen Häuser, die einmal Meerblick gehabt haben mußten. Jetzt war dieser Blick von Hotels verstellt, und die meisten Bewohner hatten sich hinter hohen Hecken und Mauern zurückgezogen und waren so von der Straße abgeschnitten. Hier und da konnte ich eine Terrasse oder eine Veranda sehen, auf der Leute unter Ventilatoren saßen und Rum tranken. Irgendwo weiter oben auf der Straße waren Glocken zu hören, das verträumte Klingklang von Brahms’ Wiegenlied.
    Ich ging einen Block weiter, um ein Gefühl für die Gegend zu bekommen, und die Glocken kamen näher. Bald tauchte ein Eiscreme-Wagen auf und bewegte sich langsam die Straße hinab. Auf dem Dach steckte ein riesiges Eis am Stiel, das immer wieder im rötlichen Neonschein aufleuchtete und die Umgebung erhellte. Tief aus den Eingeweiden des Wagens kam das Geklimper von Mr. Brahms’ Melodie. Der Fahrer fuhr an mir vorbei, grinste glücklich und drückte auf seine Hupe.
    Ich winkte mir sofort ein Taxi und sagte dem Fahrer, er solle mich in die Stadtmitte bringen. Old San Juan ist eine Insel und durch mehrere Dämme mit dem Festland verbunden. Wir überquerten den Damm, der stadtauswärts nach Condado führt. Dutzende von Puertoricanern standen am Geländer und angelten in der flachen Lagune; etwas weiter rechts war ein riesiges weißes Neonschild mit dem Schriftzug CARIBÉ HILTON. Das, so wußte ich, war der Grundstein des Boom . Mr. Conrad Hilton war aufgetaucht wie Jesus, und alle Fische waren ihm gefolgt. Vor seiner Zeit gab es nichts; jetzt war nur der Himmel die Grenze. Wir kamen an einem leerstehenden Stadion vorbei und fuhren bald auf einem Boulevard, der entlang einer Felskuppe verlief. Auf der einen Seite war der dunkle Atlantik, und auf der anderen, hinter der schmalen Stadt, glommen tausende bunte Lichter von Luxusdampfern, die im Hafen vertäut lagen. Wir bogen ab und hielten an einem Platz, den der Fahrer als Plaza Colón bezeichnete. Die Fahrt kostete einen Dollar dreißig, und ich gab ihm zwei.
    Er sah sich die Scheine an und schüttelte den Kopf.
    »Stimmt was nicht?« fragte ich.
    Er zuckte die Achseln. »Kein Wechselgeld, señor.«
    Ich tastete in meiner Tasche – nichts außer einem Nickel. Mir war klar, daß er log, aber ich wollte es vermeiden, irgendwo einen Dollar wechseln zu müssen. »Du gottverdammter Dieb«, sagte ich, warf ihm die Scheine in den Schoß und stieg aus. Er zuckte wieder die Achseln und brauste davon.
    Die Plaza Colón war ein Knotenpunkt, an dem mehrere schmale Straßen zusammenliefen. Die Gebäude standen eng aneinander, zwei bis drei Stockwerke hoch, und hatten Balkone, die über die
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