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Ruhig Blut!

Ruhig Blut!

Titel: Ruhig Blut!
Autoren: Terry Pratchett
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langen, krummen Stock aus einem Halfter. Der Straßenräuber hatte das Objekt zunächst für eine Lanze gehalten, aber jetzt sprang eine Klinge daraus hervor – ihre Schneide leuchtete blau.
    ICH MUSS SAGEN, DASS DU DICH DURCH EINE BEMERKENSWERT BEHARRLICHE VITALITÄT AUSZEICHNEST, sagte der Reiter. Es war keine Stimme in dem Sinn, mehr ein Echo im Kopf. VIELLEICHT AUCH DURCH EINE BESONDERE GEISTESGEGENWART.
    »Wer bist du?«
    ICH BIN DER TOD, sagte Tod. UND ICH BIN NICHT HIER, UM DEIN GELD ZU NEHMEN. WAS DAVON VERSTEHST DU NICHT?
    Etwas flatterte am Fenster des Vogelhorts. Die Öffnung war nicht verglast – es steckten nur einige Holzleisten darin, um frische Luft hereinzulassen.
    Etwas tastete umher, und es folgte ein leises Picken. Dann herrschte wieder Stille.
Die Falken starrten.
    Außerhalb des Fensters machte etwas Wummpf. Gleißende Lichtstrahlen strichen über die gegenüberliegende Wand, und die Leisten verkohlten langsam.
    Nanny Ogg wußte: Das Fest fand im Großen Saal statt, doch den eigentlichen Spaß hatte man im Hof am großen Feuer. Drinnen gab’s Wachteleier, Gänseleberpastete und kleine belegte Brote. Draußen schwammen Bratkartoffeln in Butterfässern, und dazu briet ein ganzer Hirsch am Spieß. Für später war die Galavorstellung eines Mannes vorgesehen, der Wiesel durch seine Hosenbeine krabbeln ließ – solche Unterhaltung zog Nanny jeder großen Oper vor.
    Als Hexe war sie natürlich überall willkommen, und es konnte nie schaden, die besseren Leute daran zu erinnern, für den Fall, daß sie es vergaßen. So schwer die Entscheidung auch sein mochte: Nanny Ogg beschloß, draußen zu bleiben und eine ordentliche Wildbretmahlzeit zu genießen – wie viele ältere Frauen war sie gewissermaßen ein Faß ohne Boden, wenn es kostenloses Essen gab. Anschließend wollte sie den Großen Saal aufsuchen und die Lücken mit piekfeinen Spezialitäten füllen. Außerdem wurde dort vielleicht der teure sprudelnde Wein ausgeschenkt. Nanny trank ihn ganz gern, wenn man ihn in einem großen Krug servierte. Allerdings mußte man erst genug Bier trinken, bevor man sich ausgefalleneren Dingen zuwenden konnte.
    Sie griff nach einem Humpen und schlenderte zum Anfang der Schlange am Bierfaß. Dort stieß sie mit sanftem Nachdruck den Kopf eines Mannes beiseite, der beschlossen hatte, den ganzen Abend unterm Zapfhahn zu liegen, und füllte dann ihr Gefäß.
    Als sich Nanny umdrehte, sah sie, wie sich die spreizfüßige Agnes näherte. Es schien sie noch immer mit Unbehagen zu erfüllen, ihren neuen schwarzen Hut in der Öffentlichkeit zu tragen.
    »Hallo, Mädchen«, sagte Nanny. »Versuch mal das Wildbret. Ist wirklich lecker.«
    Agnes blickte skeptisch zum bratenden Fleisch hinüber. Die Lancrestianar waren vor allem um die Kalorien bedacht und schenkten den Vitaminen kaum Beachtung.
    »Glaubst du, ich könnte hier einen Salat bekommen?« fragte sie. »Ich hoffe nicht«, erwiderte Nanny fröhlich.
»Es sind ziemlich viele Leute da«, meinte Agnes.
    »Jeder hat eine Einladung bekommen«, sagte Nanny. »Das finde ich sehr nett von Magrat.«
    Agnes reckte den Hals. »Oma Wetterwachs scheint nicht hier zu sein.« »Vermutlich ist sie drinnen und sagt den Leuten, was sie tun sollen.« »In letzter Zeit habe ich sie nicht oft gesehen«, fügte Agnes hinzu. »Ich
    glaube, sie ist mit irgend etwas beschäftigt.«
Nanny kniff die Augen zusammen.
»Glaubst du?« fragte sie und dachte: Du wirst gut, Mädchen. »Seit wir von der Geburt gehört haben…« Mit einer Geste ihrer pum
    meligen Hand deutete Agnes auf das cholesterinintensive Fest um sie herum. »Seit wir davon gehört haben, ist sie… ganz angespannt.« Nanny Ogg stopfte Tabak in die Pfeife und riß ein Streichholz am Stiefel an.
»Du bemerkst gewisse Dinge, nicht wahr?« entgegnete sie und paffte. »Bist ziemlich aufmerksam, stimmt’s? Wir sollten dich Fräulein Ichbemerke-alles nennen.«
    »Ich bemerke zum Beispiel, daß du immer dann mit deiner Pfeife herumspielst, wenn dir unangenehme Gedanken durch den Kopf gehen«, sagte Agnes. »Das ist Ersatzbefriedigung.«
    In einer süßlich riechenden Qualmwolke dachte Nanny daran, daß Agnes Bücher las. Alle Hexen, die in ihrer Hütte gewohnt hatten, gehörten zur belesenen Sorte. Sie glaubten, durch Bücher das Leben sehen zu können, aber das ging natürlich nicht, weil einem die Worte den Blick versperrten.
    »Seit einer Weile ist sie recht still, das stimmt«, sagte Nanny. »Wir sollten sie besser nicht
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