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Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!

Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!

Titel: Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Autoren: Else Buschheuer
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Zuckerwatte, Gebissgeruch, Babykacke, Senf und Tosca. Ich sprühe taumelnd mit Sagrotan-Spray um mich. Gemurmel. Vor meinen Augen flattern graue Gardinen. Ich verteile wahllos Kopfnüsse und Nasenstüber, treffe stark behaarte Polinnen, ein Basecap (verkehrtrum), ballonseidene Jogginghosen, lilaschwarzgrün. Lautstarker Protest. Die sind doch alle verrückt! Ich möchte töten, komme aber nicht an meine Walther ran. Ich hocke mich hin, das Gesicht gen Himmel, und schütze meinen Kopf mit den Händen. Ich muss mal! Ganz dringend! Mein Handy! Wo verdammt ist mein Handy? Da greifen Arme nach mir, orangefarbene Arme, Sanitäterarme, die mich packen und rausziehen, obwohl ich auf sie einschlage.

5. Man steckt nicht drin
    Wenn ich was nicht leiden kann, dann sind es Leute, die fragen, ob ich okay bin. Und ob ich sicher bin, dass ich okay bin. Und ob ich drüber reden will. Und ob ich sicher bin, dass ich nicht drüber reden will. Ich bin privatversichert! Einzelzimmer. Chefarztbehandlung. Muss ich mir das antun? Um mich von dem Verhör in der Rotkreuzstelle zu erholen und ein wenig hofieren zu lassen, gehe ich in meine Kommandozentrale.
    The Wild Bunch.
Ich habe meine Firma nach dem großen Film von Sam Peckinpah benannt. Wir sind
die
Werbeagentur in Berlin, inzwischen die innovativste in Deutschland. Seit unserer bahnbrechenden Kampagne fürdie städtische Müllabfuhr »We kehr for you« ist Berlin in den Vereinigten Staaten bekannter als Heidelberg. Selbst wenn wir ab sofort nur noch Scheiße bauen – wir würden weiter mehrstellige Millionenumsätze machen, allein unseres legendären Rufes wegen. Das beruhigt ungemein.
    Liz Taylor, dieser Pansen, hat recht: Das beste Parfüm ist Erfolg. Gibt es irgendetwas, das mehr Prestige bringt? Ich bin kein Workaholic! Ich lebe nicht, um zu arbeiten. Mein Laden läuft praktisch von allein. Fred hat alles im Griff. Fred ist ein Narziss erster Sorte. Selten habe ich jemanden getroffen, der eine so hohe Meinung von sich hat. Früher war er Sockenmodell für den Otto-Katalog. Seit über fünf Jahren ist er mein persönlicher Assistent. Ich verfüge über ein gut funktionierendes Informationssystem und bin über sein Verhalten während meiner Abwesenheit bestens unterrichtet. Er thront in meinem Büro in der unteren Kuppelhälfte des Fernsehturms wie eine Bienenkönigin. Wenn ich nicht da bin, was meistens der Fall ist, sitzt er auf meinem Stuhl, die Füße auf meinem Schreibtisch, und triezt die Angestellten. Überliefert ist eine seiner Lieblingsbemerkungen den Kollegen gegenüber: »Sie sind gefeuert! War nur ein Scherz!« Das alles stört mich nicht, schließlich sollen die Biester ja arbeiten, und einer muss ihnen halt auf die Finger gucken. Mir gegenüber ist Fred absolut loyal. Wenn er sagt, ich sei die gütigste aller Chefinnen und es sei ein Privileg, für mich zu arbeiten, dann meint er es auch so. Er liebt mich abgöttisch und hat keinerlei Ambitionen aufzusteigen. Der einzige wirkliche Kündigungsgrund ist, dass er beim Atmen aus der Nase pfeift. Das stört schon enorm. Aber seine Vorteile überwiegen.
    Im Lift des Fernsehturms läuft ein Broiler-Schlager:
     
    Wie ein Stern in einer Sommernacht
    ist die Liebe, wenn sie strahalend erwacht.
     
    Der Liftführer trällert mit. Vermutlich ist er ein ehemaliger Stasi-Offizier oder, wie er es nennt: »gelernter DDR-Bürger«. Mich begrüßt er immer relativ mürrisch. Für ihn bin ich die Inkarnation des westdeutschen Besatzers. Womit er auch recht hat. Zwischen uns verläuft die Berliner Mauer. Mitten durch den Lift. Sein missionarischer Eifer, mir den Broiler als solchen nahezubringen (»Bei uns war nicht alles schlecht«), ist manchmal unterhaltsam, meist jedoch recht anstrengend. Er schafft es, die 40 Sekunden, die der Lift nach oben braucht – 240 Meter, sechs Meter pro Sekunde – komplett zuzutexten. Er war es, der mich mit ostdeutschen Resignationsstandards wie »uns kannte ja keiner«, »zwischen den Zeilen lesen« und »nach der Wende fiel ich in ein tiefes Loch« vertraut gemacht hat. Von ihm erfuhr ich auch, dass es in der DDR keinen Führerschein gab, sondern eine »Fahrerlaubnis«, wegen Hitler. Geschichten, die die Welt nicht braucht. Alle Themen, egal ob soziale Ungerechtigkeit, grüner Pfeil oder Leipziger Allerlei, pflegt er abzuschließen mit dem sibyllinischen Satz: »Man steckt nicht drin.«
    »Na, ihr Hühner, alles im Lot?«, rufe ich eine Spur zu aufgeräumt, den Marathon-Schock noch in den Knochen, und
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