Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!

Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!

Titel: Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Autoren: Else Buschheuer
Vom Netzwerk:
das Schicksal, die Sau, schon gesorgt. Als die Tür bereits beginnt, sich zu schließen, schießt jemand mit gellendem Schrei um die Ecke.
    »Haldn auf!«
    Rums! Eine Sandale mit weißer Frotteesocke setzt hart auf. Ich weiche zurück, mit dem Rücken an die Wand, und sehe Mändy, meine neue Nachbarin, feindselig an. Inzwischen ist auch Maik zugestiegen. »Ogidogi«, japst er – eine Redewendung, die schon auf Hochdeutsch eine Aufforderung zur Gewalt ist. Maik sieht aus wie Homer Simpson: Stirnglatze, Überbiss, große Nasenlöcher, fliehende Stirn, kein Hinterkopf, schielt nach außen. Mändy schielt nach innen, praktisch als Korrektiv. Eine graue Ostmaus, erschlagen von ihren grellbunten Klamotten. Frisur wie Rudi Völler. Das Haar sehr blond. Das Gesicht sehr braun. Sieht aus wie ein Farbnegativ.
    »Geschafft«, keucht Maik und fügt unnötigerweise in meine Richtung hinzu: »Lieb von dir!«
    Ich bleibe stumm und starre. Duzt mich der Arsch?
    Die Sprache ist die höchste Form des sozialen Umgangs.Sie beinhaltet im Deutschen die Möglichkeit, zwischen »Sie« und »Du« zu unterscheiden. Der Klassiker »Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben« ist langweilig und aus der Mode …
    »Na, auch zum Maradon?«, fragt Maik aufgeräumt, wackelt mit dem Kopf und tippt mit dem Zeigefinger auf eine Olympus, die an einer schwarzen Kordel vor der Aufschrift ALLES SCHLAMPEN AUSSER MUTTI hin und her baumelt. Er hat eine Broiler-Physiognomie, derentwegen man umgehend den Klageweg beschreiten sollte. Fehlt nur noch, dass er sagt: Gudn Dog! Isch hätte gärne mein Begrüßungsgeld!
    Eine besonders gelungene Replik auf die Frage »Wollen wir Du sagen oder Sie?« fiel mir neulich ein: »Ganz wie Sie wollen!« Diese Antwort ist sowohl höflich als auch unmissverständlich. Denkt man. Aber der Broiler braucht es deutlicher. Ich könnte es versuchen mit »Ich würde Ihnen ganz gern das Sie anbieten!« Oder, um ganz sicherzugehen: »Noch ein Du, und ich reiß Ihnen die Eier ab und steck sie Ihnen in die Ohren …«
    »Ärschtma hallo«, mümmelt Mändy und streckt mir fünf Wurstfinger mit langen falschen Nägeln hin. Mir ist übel von den Hühnerherzen. Ich muss mal. Und wenn ich noch länger lächle, kriege ich einen Kaumuskelkrampf. Was sagt der Etagen-Anzeiger? Vierter Stock! Nach meinen Berechnungen müsste der Lift, wenn keiner zusteigt, in siebzehn Sekunden im Erdgeschoss sein. Ein-und-zwanzig. Zwei-und-zwanzig. Drei-und-zwanzig. Ich verschränke die Arme auf dem Rücken und knacke mit den Daumengelenken.
    »Ganz schön gald gewordn die letzten Tage«, treibt Maik forsch die Konversation voran. »Tja«, sage ich heiser, krame angestrengt in meinem Phrasenschatz, findeaber nur eine, die nicht wirklich passt. »Da beißt die Maus kein Faden ab«, sage ich und entwische durch die sich eben öffnende Tür. »Bis die Tage«, rufe ich tolldreist im Weglaufen und: »Man sieht sich!«
    Mein Übermut ist schnell verflogen. Direkt vor meiner Tür, dort wo Touri-Bälger sonst immer über die Steinquader des Bassins am Debis-Haus hüpfen, falle ich in einen Sumpf aus Currywurst mampfenden, majonäseverklebten Menschenleibern. Sehe nichts als Gesichter. Kann keins von ihnen ertragen.
    »Sie gestatten?«, murmele ich, versuche mir eine Schneise zu bahnen und springe im allerletzten Moment über einen Kotzhaufen.
    »Mutti, kiek mal!«, ruft ein Broiler-Kind mit Igelfrisur und einem langen dünnen Haarschwänzchen im Nacken, zeigt Richtung Straße und schubst mich dabei.
    Unsere Welt ist so gewalttätig geworden, denke ich, stelle meinen Pfennigabsatz auf seine Zehen und drehe.
    Das Kind fängt an zu brüllen, und Rotzblasen quellen aus seiner Nase.
    Enttäuschenderweise erfüllt mich das nicht im Geringsten mit Befriedigung. Ich überlege, wann mich überhaupt zum letzten Mal irgendetwas mit Befriedigung erfüllt hat. Ich kann mich nicht erinnern. Ein Mann mit Halbglasbrille vom Hertie-Ständer stört meine Überlegungen. Drängeln, ja, det kann er ooch! Mein Mundwinkel sticht. Ich kriege Herpes!
    »Ich muss dringend ins Büro«, stammle ich und trete ins Weiche. Ein Pinscher jault auf.
    »Entschuldigung«, fragt einer und zupft mich am Ärmel. »Sind Sie nicht Iris Berben?«
    »Nee, wirklich nicht! Provozieren Sie mich nicht! Ich beiße! Fassen Sie mich nicht an! Ich warne Sie! Ich habeeine Nahkampfausbildung gemacht! Gehen Sie weg! Weckweckweck!«
    Es riecht zum Übelwerden indezent. Ein Cocktail aus Achselschweiß,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher