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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig
Autoren: Jörg Juretzka
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Respekt.“
    Gleichzeitig ist eine Matratze auf dem Buckel wie ein Panzer. Ich hatte vier Hoodies im Rücken, aber sie konnten mir praktisch nichts.
    „Respekt? Für einen, der Fremde auf der Straße um Zigaretten anbettelt?“ Das war ein Treffer. Ich sah es in seinen Augen und nutzte die Gelegenheit, entschlossen auf ihn zuzugehen. Er machte tatsächlich Platz. „Ey, isch bettel nisch, isch zieh Leute ab.“
    „Mich nicht“, widerstand ich der Versuchung, ihn nachzuäffen, quetschte mich mit Matratze durch die Eingangstür und rief den Aufzug.
    Ich hatte nicht umsonst im Knast gesessen. Gib bei der ersten Begegnung nach, und du gibst von da an für immer nach.
    „Ey, bist du etwa der neue Hausmeister?“ Alle fünfe sahen mich vom Hauseingang her an, wie sie alles und jeden ansehen: höhnisch, von oben herab und im vollen Bewusstsein ihrer Überlegenheit. Ein Star, jeder Einzelne von ihnen. Mal im Ernst: Wer braucht da noch einen Schulabschluss?
    „Ja“, antwortete ich zähneknirschend und drückte zum x-ten Mal den Aufzugknopf.
    „Ey, da kriegen wir bestimmt noch voll viel Spaß mit dir.“
    Aber sicher. Der erste Punkt war zwar an mich gegangen, doch das Spiel als solches hatte gerade erst begonnen.
    Ich zerrte die Matratze durch die Tür und stutzte. Das Gemisch repulsiver Gerüche in der Wohnung war während meiner Abwesenheit um eine Variante reicher geworden, unverwechselbar in ihrer Schärfe. Mahatma Gandhi? Der Dalai Lama? Pah! Sanftmütig und friedliebend geboren zu sein und sich das dann groß an die Brust zu heften, das ist doch keine Kunst. Wo bleibt da das Element der Überwindung? Wo das Niederringen des inneren Schweinehunds? Wenn irgendjemandem Weltruhm zusteht für Großmut, Nachsicht und meisterhafte Beherrschung seiner Tötungsinstinkte, dann mir. Diese Katze ist der, tja, lebende, meines tausendfachen Wunsches, sie mit der Bratpfanne platt zu kloppen, zum Trotz nach wie vor lebende Beweis. „Du gehst zurück zu Edna“, sagte ich zu ihr, „morgen schon.“ Und meine Balkontür wird vernagelt, fügte ich im Stillen hinzu. Mit ein bisschen Glück fand sich ja in den kommenden Nächten jemand, der mich von diesem Mistvieh erlöste.

TAG 2
     „Hier. Sehen Sie sich das an!“ Elf am Vormittag, und er wirkte nicht so, als ob er letzte Nacht ein Bett gesehen hätte. Roland Siebling, Stukkateur, langzeitarbeitslos. Blass, wie Putzer es gern sind, nicht sehr groß, dünn, fahrig, eine abgewetzte Jacke über verschossenen Trainingshosen, aber der Seitenscheitelhaarschnitt war blond gesträhnt, messerscharf und tadellos. „Was gibt es doch für Säue“, sagte ich ohne rechte Aufregung. Siebling hatte mich mit einem Riesen-Bohei aus dem Schlaf gerissen, und nun stand ich hier unten und wünschte mit wachsendem Groll, ich hätte ihn vor die Pumpe laufen lassen. Mülheimer Schnee fiel, machte mich frösteln und vertiefte meinen Missmut. Mülheimer Schnee, das heißt: Die Flocken rieseln vom Himmel, landen auf einer Oberfläche, ganz gleich, welcher - Dachpfanne, Gehwegplatte, dein Genick -, und werden zu Wasser.
    „Das muss einer hoch oben aus dem Fenster geworfen haben.“ Siebling zog ein längliches Stück Sperrholz aus dem weichen Boden und zeigte mir, wie tief es eingedrungen war.
    „Aber nicht höher als die zehnte Etage“, mutmaßte ich und trat gegen eine der beiden aufgeplatzten Mülltüten, die das Tableau aus siffiger Matratze, zersplittertem Bettgestell und Resten von Teppichboden abrundeten. Hatten sie einfach vom Dach geschmissen, die beiden Rotzigen. Vorausgesetzt, es handelte sich nicht um die Tüten, die ich Hauptkommissar Menden anvertraut hatte. Schwer zu sagen, im Nachhinein. „Nicht höher als die zehnte Etage? Wollen Sie mich verarschen?“
    Ich blickte ihn unschuldig an. Eines meiner Talente. „Das Haus hat nur zehn Etagen.“ Ich zählte nach und sagte: „Elf.“
    „Das Erdgeschoss wird nicht mitgerechnet!“ Er regte sich prächtig auf, schaffte es aber trotzdem nicht, meine Laune zu verbessern. „Und jetzt?“, wollte er wissen. Ich zuckte die Achseln. „Jetzt warten wir ein paar Tage. So lange, bis alle aus der Nachbarschaft etwas beigesteuert haben. Dann erklären wir's zu Sperrmüll und lassen es abholen.“
    „Sie wollen diesen Dreck hier einfach so liegen lassen?“ Er schien tatsächlich zu glauben, mich zu irgendeiner Form von Aufräumdienst zwingen zu können. „Außer, natürlich, ich kriege raus, wer das war.“ Mit einem Ruck wandte ich mich zu ihm
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